Das Telefon klingelt. „Hallo, hier spricht ihre Bank. Sie sind im Zahlungsverzug. Die monatliche Rate für ihren Immobilienkredit konnte nicht abgebucht werden. Wir möchten uns gerne nach den Gründen erkundigen. Vielleicht können wir Ihnen helfen.“ Ein nettes Angebot – aber irgendwas stimmt nicht. Die Stimme am anderen Ende wirkt verzerrt, irgendwie mechanisch. Volltreffer. Am Apparat: ein Sprachassistent, künstliche Intelligenz (KI). Vielleicht bleibt es bei dem gut gemeinten Reminder, vielleicht folgt die Weiterleitung zu einem menschlichen Bankberater. Deine Antwort entscheidet.
Klingt gewöhnungsbedürftig? Früher oder später wird es soweit sein. Denn die Digitalisierung ist nicht zu stoppen und stellt das Bankwesen vor einen tiefgreifenden Strukturwandel. Schon heute gehen 15 Millionen Deutsche ab 16 Jahren nie in eine Bankfiliale. Jeder Dritte (29 Prozent) kann sich vorstellen, ein Konto nicht bei einer Bank, sondern bei Google, Apple oder Amazon zu eröffnen, wenn dies angeboten wird. Das zeigt die jüngste Umfrage des IT-Verbandes Bitkom. Schlechte, gar bedrohliche Nachrichten für die klassischen Banken.

Was 2020 wichtig wird – und bleibt
Deswegen heißt es: keine Trends verschlafen, Innovationen fördern. Doch was bedeutet das genau für die Bankenbranche? Claus-Peter Praeg, Projektleiter des Innovationsforums „Bank & Zukunft“ des Fraunhofer-Instituts für Arbeitswirtschaft und Organisation (IAO) hat mit uns den Blick in die Glaskugel gewagt und zeigt auf, wie sich Banken künftig aufstellen sollten, um den Anschluss nicht zu verlieren.
1. Techgiganten machen ernst
Google, Amazon, Facebook oder Apple: Noch treten sie nicht als direkte Konkurrenten klassischer Banken auf, doch für Experten der Branche wie Praeg ist das nur eine Frage der Zeit. „Bislang spielen die sogenannten ‚Gafa‘-Firmen eine Nebenrolle“, sagt der Stuttgarter, „doch werden sie zu einem immer stärkeren Gegenwind für die etablierten Player.“ Insbesondere die Umsetzung der EU-Zahlungsdienstrichtlinie PSD2, die Drittanbietern den Marktzugang erleichtert, habe Hürden abgebaut. „Bislang haben die traditionellen Bankhäuser von der Trägheit ihrer Kunden profitiert – in Bezug auf einen Kontowechsel. Durch die erzwungene Öffnung werden die Abwanderungsprozesse zunehmen – weg von Girokonto und Kreditkarte hin zu mobilen Bezahlmethoden dritter Anbieter.“ Dass immer mehr Banken dazu übergegangen sind, Verwahrentgelte – besser bekannt als Negativ- oder Strafzinsen – auf Giro- oder Tagesgeldkonten zu erheben, werde diese Entwicklung außerdem beschleunigen.

Wohin die Entwicklung gehen könnte, zeigt der Blick ins Ausland. Dort sind Techfirmen wie Alibaba oder Paypal längst ins Kerngeschäft der Banken eingestiegen. So hat die Alibaba-Tochter Ant Financial schon 2013 ihren Geldmarktfonds lanciert, der mit einer Investitionssumme von rund einer Billion Yuan (etwa 127 Milliarden Euro) als größter Geldmarktfonds der Welt gilt. Paypal vergibt in den USA längst Kredite an Konsumenten.
2. Finanzprodukte waren gestern, heute sind Lösungen gefragt
Um vor diesem Hintergrund zukunftsfähig zu bleiben, müssten sich Banken vom klassischen Bankproduktverkäufer zum Lösungsanbieter transformieren, sagt Praeg. „Nehmen wir eine regionale Bank. Warum bietet sie Zugezogenen nicht neben der Immobilienfinanzierung gleich auch die Vermittlung von Handwerkern oder eines Kita-Platzes an?“ Die Bank, in der Region verwurzelt, kenne alle wichtigen Akteure, habe vertrauensvolle Kundenbeziehungen aufgebaut und könne dieses Netzwerk für sich nutzen – angepasst auf die Bedürfnisse der Kunden. „Amazon hat über Jahre ein breit gefächertes Angebot und ein riesiges Kundennetzwerk aufgebaut, dem es nun theoretisch auch ein Girokonto anbieten könnte. Banken können diesen Weg der Kundenorientierung auch gehen – nur eben andersrum.“

Den Schritt gewagt hat etwa die Apotheker- und Ärztebank mit „Univiva“. Über die digitale Plattform vermittelt sie ihren rund 450.000 Kunden sowie weiteren Ärzten und Apothekern in Deutschland seit Juni Fortbildungen, Workshops und Seminare. „Ein Amazon für Fort- und Weiterbildungen“, wie der Vorstandsvorsitzende der Apobank Ulrich Sommer im Vorfeld verkündet hatte. Stichwort: Plattformökonomie. Für Markus Strietzel, Senior-Partner der Unternehmensberatung Roland Berger, eine alternativlose Entwicklung, wie er im Handelsblatt sagte. Für Geldhäuser werde es immer wichtiger, ihre Provisionseinnahmen zu stärken. Plattformen seien dafür ein wichtiges Instrument.
Aufbruchstimmung? Keineswegs, weiß Praeg, der in seinem Innovationsforum gemeinsam mit Banken und Finanzdienstleistern Lösungen für die Bank der Zukunft entwickelt. „Leider trauen sich viele Banken diesen Schritt nicht zu oder scheitern an gewachsenen Strukturen. Diese Häuser sind auf Stabilität und Kontinuität ausgerichtet, nicht auf Innovation.“ Zudem dauere es in vielen Fällen schlicht zu lange, bis Neuerungen bei den Kunden ankämen.

3. Wider dem Filialsterben
In der Bankfiliale der Zukunft die Finanzierung fürs Traumhaus klären und gleichzeitig den Maler buchen – geht es nach Praeg, könnte das eine von vielen Lösungen sein, um das Filialsterben im Zaum zu halten. Denn wie die Bundesbank unlängst mitteilte, verringerte sich die Zahl der Bankfilialen im vergangenen Jahr weiter: 2018 gab es 2.239 weniger als 2017, was einem Rückgang von 7,4 Prozent entspricht. „Es reicht heute nicht mehr aus, die Filiale mit einer schicken Lounge auszustatten, wenn das Angebot gleichbleibt“, sagt Praeg. „Banken müssen es schaffen, in andere Lebensbereiche vorzudringen, um wieder eine Alltagsrelevanz für den Kunden zu bekommen – von der Mobilität bis zur Bildung. Bargeld abheben kann ich eben auch beim Supermarkt an der Kasse.“ Wer bei Sparbüchern und Girokonten stehen bleibe, werde abgehängt. Die Folge: weitere Schließungen.
4. Test, Test, Test – Künstliche Intelligenz vorantreiben
Und die Künstliche Intelligenz? Bleibt Thema, auch wenn für 2020 keine tiefgreifenden Überraschungen zu erwarten seien, so Praeg. „Dass es unabdingbar ist, hier am Ball zu bleiben, haben alle Häuser erkannt. Noch ist es aber ein Experimentierfeld. Ob KI schon bald operativ, also flächendeckend im Kundenumfeld, genutzt wird, bleibt fraglich.“ Mal ausgenommen von etablierten Sprachassistenten. Schon heute können Kunden von 22 Volks- und Raiffeisenbanken Alexa nach Informationen zu Produkten oder Aktienkursen fragen. Der Vorteil von KI: Zusätzliche Erträge durch das Erkennen von Mustern im Kundenverhalten. „Diese können entstehen, wenn Banken ihre Kunden besser kennenlernen und ihnen dank Datenanalyse passgenaue Produkte anbieten“, sagt Nils Beier von der Unternehmensberatung Accenture im Handelsblatt. Die Investition in entsprechende Technologien könnte also eine Win-win-Situation werden, von der beide Seiten profitieren könnten.
Künstliche Intelligenz stärker einbinden und neue Geschäftsfelder erschließen – geht es nach den Experten, wird die Bank der Zukunft zum Mitgestalter. Zum verlässlichen Alltagshelfer, der auch dann zur Seite steht, wenn das Geld knapp wird.