Rein in die Bankfiliale, drinnen große Topfpflanzen und ein Teppich, der alle Schritte schluckt. Und eine ausführliche Beratung, eine Unterschrift für ein neues Sparkonto. So oder so ähnlich sah der Alltag in vielen Banken über Jahrzehnte aus. Doch die Welt hat sich in den vergangenen Jahren rasant verändert. So kämpfen die Institute mit der Ära niedriger Zinsen sowie der Konkurrenz durch FinTechs. Und nicht erst seit der Coronapandemie kommen immer weniger Kund*innen in Filialen, um sich dort beraten zu lassen und eine Geldanlage abzuschließen.

All das erhöht für die Geldhäuser den Druck, weitere Einnahmequellen zu erschließen. Und was liegt da näher, als sich von erfolgreichen Ideen aus anderen Branchen inspirieren zu lassen? „Beyond Banking“ heißt dieser Blick über den Tellerrand neudeutsch. Dafür lohnt sich ein Blick zu sieben der zehn wertvollsten Unternehmen der Welt, darunter Alphabet (Google) und Amazon. Sie alle haben eins gemeinsam: Sie nutzen den Plattformgedanken für ihr Geschäftsmodell. Dabei investieren sie nicht selbst in physische Produkte, sondern bieten über ihre Plattform Dienstleistungen oder Produkte anderer an. Über Partner offeriert damit also eine Firma Leistungen, die sie aus eigener Kraft nicht zur Verfügung stellen könnte. Das macht zum einen den Charme digitaler Ökosysteme aus.
Die schlechte Nachricht für Banken ist allerdings: Der lukrative Plattformgedanke lässt sich ganz grundsätzlich nicht eins zu eins auf sie übertragen. Denn Geldinstitute fokussieren sich seit jeher auf den Vertrieb eigener, banknaher Produkte, die den Großteil ihrer Marge bringen. Darauf werden sie auch in Zukunft angewiesen sein. Es ist für sie also schlicht nicht möglich, das neue Amazon oder Google zu werden, wenn sie ihr bisheriges Geschäftsmodell weiter betreiben wollen.

Geschäftsfeld mit riesigem Potenzial
Das bedeutet jedoch nicht, dass digitale Ökosysteme für Banken deshalb uninteressant wären – im Gegenteil: Derart großes Potenzial wie hier ist für sie derzeit in keinem anderen Geschäftsfeld in Sicht. Deshalb treiben Geldhäuser in Deutschland den Aufbau digitaler Ökosysteme derzeit massiv voran, wie die Studie „Relevanz digitaler Ökosysteme für deutsche Banken“ von PwC feststellt. Demnach halten mehr als 97 Prozent der befragten Banker*innen in den kommenden fünf Jahren digitale Ökosysteme strategisch für sehr relevant. Gut 95 Prozent wollen daher in fünf Jahren eine eigene Plattform betreiben oder auf einer anderen präsent sein. Und immerhin 62 Prozent der Befragten erklärten, in ihren Häusern würden bereits Konzepte dafür entwickelt.

Doch wofür eigentlich genau? Was ist so „beyond“ am Beyond Banking? Im Fokus der Banken stehe dabei die „Steigerung der Alltagsrelevanz“, meinen die Expert*innen von PwC. Sprich: Banken müssen stärker im Alltag ihrer Kund*innen relevant werden. So könnten sie beispielsweise im Lebensbereich „Wohnen“ auf einer Plattform umfangreiche Services und Produkte anbieten, die Kund*innen bisher nur abseits von Banken erreichen: Auf der Plattform ihres Geldinstituts könnten sie dann nicht nur Versicherungsangebote einholen, vergleichen und abschließen, sondern auch Umzugsunternehmen sowie Handwerker für den Hausbau oder die Sanierung bestellen.
Für Banken bietet diese neue Welt viele Chancen – aber auch Herausforderungen. Denn es reicht nicht, nur auf der Plattform eines anderen Anbieters vertreten zu sein. Wer in Zukunft vom Beyond Banking profitieren will, muss ein digitales Ökosystem aufbauen und orchestrieren. Denn nur so lässt sich die Schnittstelle zu den Kund*innen besetzen und stellen Banken auf diese Weise sicher, dass sie und ihre Produkte nicht austauschbar sind. Die Sache hat allerdings einen Haken: Das geht nicht von heute auf morgen. Im Gegenteil: Für ein digitales Ökosystem muss eine technologische Infrastruktur geschaffen, strategische Partnerschaften wollen geschlossen werden. Dafür müssen sich die Geldinstitute auch die Frage stellen, inwieweit sie sich mit ihren Angeboten überhaupt vom Kerngeschäft der Finanzen entfernen wollen. Immerhin müssen sie, um das Beispiel von oben aufzugreifen, sich dann ja tiefergehend mit Handwerksbetrieben oder Umzugsunternehmen beschäftigen, um entsprechend seriöse Partner auf ihrer Plattform einbinden zu können.

Aus eigenem Kerngeschäft entwickeln
Wie weit sollten sich Banken also künftig von ihrem Kerngeschäft entfernen? Jost Hischebeth aus dem Servicefeld „Unternehmensstrategie“ von Atruvia hat darauf eine klare Antwort: „Der Begriff Beyond Banking suggeriert, dass Banking in Zukunft irgendwie überwunden werden müsse. Wir glauben aber an die Zukunft des Kerngeschäfts von Geldinstituten.“ Daher investiere Atruvia in Angebote, die eher Nearbanking-Charakter haben – die sich also aus dem bestehenden Leistungskern entwickeln lassen und in der Finanzbranche angesiedelt sind. Der Gedanke dahinter sei, das Allfinanzmodell weiterzuentwickeln, in dem sich Banken um alle finanziellen Belange ihrer Kund*innen kümmern. Heute wird das Angebot der Banken bereits durch Partnerangebote wie Versicherungen ergänzt. Künftig kommen Lösungen wie ein digitaler Dokumentensafe hinzu – von der Bank selbst bereitgestellt oder von Partnern. Grundsätzlich geht es für Atruvia laut Hischebeth darum, Geldinstitute künftig in die Lage zu versetzen, Innovationen in diesem Bereich in Zukunft integrieren zu können. Entsprechend müsse Atruvia es den Genossenschaftsbanken ermöglichen, ihr eigenes Ökosystem zu orchestrieren. Dazu gehöre auch die Option, Daten systematisch zu erfassen und nutzbar zu machen.
Wie “beyond” das Angebot von diesem Startpunkt aus letztlich wird, entscheidet sich durch den Erfolg der Innovationsvorhaben, die es an vielen Stellen in der Genossenschaftlichen FinanzGruppe gibt. Lösungen, die gut zum Markenkern passen und relevante Kundenwerte schaffen, werden auch Markterfolg haben und ihre berechtigte Integration in das Leistungsangebot finden.

Das Ziel ist allerdings nicht, dass Atruvia alles schon fertig hinstellt und mit Partnern verhandelt. „Wir schaffen die technologische Basis. Die geschäftspolitischen Entscheidungen sind durch die Banken zu treffen. Wir sehen uns damit als Möglichmacher“, so der Experte. Ausgangspunkt dafür ist die bereits bestehende Omnikanalplattform von Atruvia. Diese ermöglicht heute schon eine Wertschöpfung über Unternehmensgrenzen hinweg – insbesondere durch die Integration von Leistungen der Genossenschaftlichen FinanzGruppe. Die Anbindung weiterer Partner und deren Angebote ist somit kein technisches Problem mehr. In welchen Lebenswelten eine Bank aktiv sein will, entscheidet dann jedes Institut strategisch selbst. Ein Schritt in diese Richtung ist auch die neue VR Banking App, die im Herbst gelauncht wird. Diese bietet alle gängigen Online-Banking-Funktionen, lässt sich aber auch mit weiteren Leistungen ausbauen. „Letztendlich geht es in Zukunft darum, Banking besser zu machen – und mehr als nur Banking zu bieten“, sagt Hischebeth.