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Arbeiten

Kürzer arbeiten, gleich verdienen? Das geht!

Verbesserte Work-Life-Balance, produktivere Angestellte – so funktioniert das Modell der Vier-Tage-Woche.
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© Photo by Moritz Kindler
02.02.2022

New-Work-Modelle sind gefragt wie nie: Immer mehr Länder und Unternehmen testen deshalb verschiedene Strategien, die für eine ausgewogene Work-Life-Balance sorgen und effizienteres Arbeiten ermöglichen sollen. Eine der Ideen ist, die Wochenarbeitszeit zu verkürzen. Testläufe zeigen: Die Arbeitnehmer*innen sind zufriedener, die Produktivität steigt. Aber hält das Modell wirklich, was es verspricht? Und ist es auch für Banken denkbar?

Weniger, aber dafür produktiver arbeiten – bei gleichem Gehalt: Klingt zu schön, um wahr zu sein? Das Modell der Vier-Tage-Woche verspricht genau das. Statt sich acht Stunden am Tag und das fünf Tage die Woche abzuarbeiten, locken bei verkürzter Arbeitszeit mehr Freizeit, mehr Effizienz und mehr Zufriedenheit für die Angestellten. Nicht zuletzt seit der Coronapandemie und dem daraus resultierenden Homeoffice sind New-Work-Modelle besonders gefragt. Immer mehr Länder und Unternehmen testen deshalb verschiedene Strategien, die für eine ausgewogene Work-Life-Balance sorgen und effizienteres Arbeiten ermöglichen sollen. Dazu gehört auch, die Arbeitszeit zu verkürzen.

In Deutschland hat eine Arbeitswoche derzeit meist 40 Stunden; verteilt auf fünf Tage werden also acht Stunden gearbeitet, zwei Tage pro Woche sind frei. Wer in Vollzeit beschäftigt ist, arbeitet tatsächlich pro Woche 40,5 Stunden und liegt damit ganz knapp unter dem EU-27-Schnitt, der 2020 bei 40,7 Stunden lag. Das ist jedoch nicht überall so: Besonders lange wird in Griechenland (43,8 Stunden), Österreich (42,1 Stunden) und Malta (42 Stunden) gearbeitet. In Dänemark (38,4 Stunden), Litauen und Finnland (je 39,9 Stunden) fallen die Arbeitstage hingegen deutlich kürzer aus, wie Zahlen von Eurostat belegen.

2022 01 FINT Artikel 4 Tage Woche unsplash 04d3d9f11961 © Photo by Justin Veenema

Aus fünf mach vier

Die klassische Fünf-Tage-Woche geht übrigens auf eine Regelung für Fabriken aus dem Jahr 1918 zurück, auch wenn damals 60 Arbeitsstunden pro Woche noch der Standard waren und die Stundenzahl im Lauf der Jahre immer weiter verkürzt wurde. Und auch die Art, wie wir arbeiten, hat sich seither drastisch verändert, sodass Unternehmen immer öfter mit New-Work-Modellen experimentieren und unter anderem die Vier-Tage-Woche einführen.

Arbeitnehmer*innen versprechen sich von solch einer Regelung eine verbesserte Work-Life-Balance und mehr Lebensqualität. „Ein zusätzlicher freier Tag fördert Gesundheit, Vereinbarkeit und Geschlechtergerechtigkeit, bietet Zeit für persönliche Qualifizierung, Ehrenamt oder andere sinnstiftende Arbeit“, sagt Johann Horn, Bezirksleiter der IG Metall Bayern. Für Arbeitgeber*innen lockt das Versprechen von motivierteren und leistungsfähigeren Mitarbeiter*innen, die ihre Aufgaben effizienter bewältigen können. Zwar gibt es bislang keinen wissenschaftlichen Nachweis dafür, dass Beschäftigte bei reduzierter Arbeitszeit genauso produktiv oder sogar noch produktiver arbeiten. Im Arbeitsalltag können viele Unternehmen diesen Eindruck jedoch bestätigen. Zudem könnte eine Vier-Tage-Woche die Lösung sein, wenn Firmen vor Umstrukturierungen stehen oder sich die Aufgaben aufgrund der digitalen Transformation verändern. Das Modell biete bei steigender Produktivität durch die Digitalisierung eine gute Möglichkeit, die vorhandene Arbeit gerecht zu verteilen, so Johann Horn. Auf diese Weise könnten Betriebe Arbeitsplätze sichern und Zeit für Qualifizierungen gewinnen.

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Damit der Wechsel von fünf auf vier Arbeitstage klappt, sollten Unternehmen vorab genau planen, wie Abläufe künftig gestaltet werden müssen, um die verfügbare Zeit effektiv zu nutzen. Genaue Zeitpläne und To-do-Listen helfen, sich auf das Wesentliche zu fokussieren. In Meetings geht oftmals viel Zeit verloren, deshalb ist es sinnvoll, Termine zeitlich zum Beispiel auf maximal 15 Minuten und auf eine Tageshälfte zu begrenzen. Um nicht ständig unterbrochen zu werden, sollten Beschäftigte E-Mails nur noch zu bestimmten Zeitpunkten – etwa zweimal am Tag – beantworten. Auch Ablenkungen wie der Blick auf das Handy zwischendurch müssen reduziert werden, wenn das Modell Erfolg haben soll. Dazu gehört auch, dass sich Mitarbeiter*innen und Vorgesetzte regelmäßig abstimmen, damit aus der Entlastung nicht Überlastung wird. „Jeden Freitag definieren wir gemeinsam mit dem Projektmanagement Wochenziele für die folgende Woche, daraus leiten sich die Tagesziele für jeden Einzelnen ab. Alle arbeiten sehr fokussiert und hoch konzentriert, um diese zu erreichen“, berichtet Lasse Rheingans, der in seiner Digitalagentur den Fünf-Stunden-Tag etabliert hat.

Wie funktioniert die Vier-Tage-Woche?

Vier Tage arbeiten, drei Tage freihaben – bei gleichbleibendem Pensum und ohne Lohnabzug. Dabei liegt die Annahme zugrunde, dass der Betrieb bei weniger Arbeitseinsatz das Gleiche wie bei einer Fünf-Tage-Woche erwirtschaftet. Möglich wird dies, da die Beschäftigten aufgrund der längeren Freizeit produktiver agieren.

Die Kehrseite der Medaille

Dennoch gibt es auch Argumente, die gegen eine Verkürzung der Arbeitswoche sprechen. Bertram Brossardt, Hauptgeschäftsführer der Vereinigung der Bayerischen Wirtschaft (vbw), sieht das Modell aufgrund des Kosten-Niveaus und des Fachkräftemangels kritisch. „Eine Reduzierung der Arbeitszeit bei vollem Lohnausgleich lehnen wir ab“, sagt er. Auch der internationale Wettbewerbsdruck, dem vor allem die produzierenden Unternehmen ausgesetzt sind, erschweren eine Umsetzung. Statt die Arbeitszeit zu verkürzen, müsse sie flexibilisiert werden, um auf internationalem Parkett weiterhin mitmischen zu können. Zudem ist das Modell nicht für alle Branchen praktikabel – etwa bei der Patientenversorgung in Alten-, Pflegeheimen und Krankenhäusern, wo rund um die Uhr Personal benötigt wird.

Eine große Rolle spielt auch die demografische Entwicklung in Deutschland, die drei freie Tage für jede*n Arbeitnehmer*in verhindert: Auf dem deutschen Arbeitsmarkt fehlen laut Angaben der Bundesagentur für Arbeit (BA)derzeit etwa 1,2 Millionen Arbeitskräfte, davon zwei Drittel Fachkräfte – Tendenz steigend. Um gegenzusteuern, müssten also eigentlich alle mehr arbeiten; die Migration müsste steigen, Eltern dürften nicht mehr in Teilzeit arbeiten und das Renteneintrittsalter müsste erhöht werden. Denn auch der digitale Wandel und die Automatisierung bestimmter Prozesse kann nicht abfedern, was durch eine verkürzte Arbeitswoche liegenbliebe.

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Einig sind sich die Expert*innen aber, dass eine Flexibilisierung der Arbeitszeit sinnvoll ist. Der vbw würde zum Beispiel eine Reform des Arbeitszeitgesetzes begrüßen: Bei einem Wochendurchschnitt von 48 Stunden könnten Mitarbeitende dann flexibel an manchen Tagen deutlich mehr und an anderen weniger arbeiten. Auch der Wirtschaftswissenschaftler Enzo Weber hält es auf lange Sicht für möglich, dass Stellen nicht mehr an eine konkrete Arbeitszeit gekoppelt sind, sondern dass die zu erledigenden Aufgaben und eine flexible Zeit angegeben werden. „Ob jemand 39 Stunden arbeitet, 35 oder 31 – das muss qualitativ überhaupt keinen Unterschied machen“, sagt Weber. Sinnvoller sei es, möglichst viel selbst gestalten zu können – und nicht starr an Vollzeit, Teilzeit oder fixen Stundenzahlen festzuhalten.

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Global beliebtes New-Work-Modell

Nicht nur Unternehmen wagen das Experiment, sondern sogar mehrere Länder. Island hat über vier Jahre hinweg dafür zwei großangelegte Testreihen durchgeführt. 2.500 Arbeitskräfte – und damit mehr als ein Prozent der berufstätigen Bevölkerung – arbeitete dann bei gleichbleibender Bezahlung 35 oder 36 statt der üblichen 40 Wochenstunden. Die Ergebnisse sprechen für die Vier-Tage-Woche: Verbessertes Wohlbefinden, Produktivität und Leistungserbringung auf gleichbleibendem oder verbessertem Niveau, effizienteres Arbeiten und insgesamt kürzere Arbeitszeiten, mehr Zeit für Freunde, Familie und Hobbys. Aufgrund dieser positiven Auswirkungen haben die isländischen Gewerkschaften und Verbände daher nun dauerhafte Arbeitszeitverkürzungen ausgehandelt. Etwa 86 Prozent der gesamten isländischen arbeitenden Bevölkerung hat jetzt das Recht auf verkürzte Arbeitszeiten.

Auch Spanien hat im vergangenen Jahr ein Pilotprojekt zur Vier-Tage-Woche gestartet: Seither arbeiten rund 6.000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter von 200 hauptsächlich mittleren und kleineren Unternehmen einen Tag pro Woche weniger. Denn normalerweise herrschen in Spanien sehr lange Arbeitstage bei vergleichbar geringer Produktivität. Um dagegen vorzugehen und ein effektiveres Arbeiten zu ermöglichen, hat Iñigo Errejon, Chef der kleinen Linkspartei Más País, das Modell für sein Land vorgeschlagen. Erste Unternehmen wie der Telekommunikationsanbieter Telefónica haben das Modell bereits eingeführt.

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Aber kann ein solches Modell auch in Banken und Finanzinstituten funktionieren? In Großbritannien startet jetzt ein erster Testlauf: Die britische Onlinebank Atom testet seit Anfang November 2021 das Konzept der Vier-Tage-Woche. Die mehr als 400 Beschäftigten können für die kommenden Monate ihre Arbeitszeit von 37,5 auf 34 Stunden ohne Gehaltseinbußen verkürzen. Ein freier Montag bzw. Freitag verlängert das Wochenende, die restlichen Arbeitstage fallen dafür etwas länger als üblich aus. Mitarbeitende haben die Wahl zwischen einer klassischen Arbeitswoche mit fünf Tagen oder dem neuen Modell. Mit den flexibleren Arbeitszeiten kommt das Unternehmen aber den Wünschen seiner Mitarbeiter*innen nach – verbunden mit der Prämisse, dass sich alle daran halten: „Ich kann meinen Mitarbeitern keine E-Mails an einem Freitag schicken. Ich kann nicht erwarten, dass sie darauf antworten“, erklärt Unternehmenschef Mark Mullen gegenüber der BBC.

02.02.2022