Das neueste Foto auf Instagram zeigt den besten Freund, wie er gerade durch die Alpen wandert. Deine Kollegin postet bei Facebook ein Bild ihrer Buddha-Bowl, #foodporn. Und deine Familie schickt ein Gruppenselfie vom gemeinsamen Ausflug, der leider ohne dich stattfinden musste. Du selbst hast mal wieder Überstunden gemacht und es hat gerade noch für eine Tiefkühlpizza und eine Folge deiner Lieblingsserie gereicht. Du bist deshalb maximal unzufrieden: Warum haben scheinbar alle Spaß und genießen ihr Leben in vollen Zügen – außer dir? Ein klarer Fall von FOMO: Die Abkürzung steht für „fear of missing out“, also die Angst, etwas zu verpassen, und gilt als eine der ersten Social-Media-Krankheiten überhaupt.

Zwar betrifft das Phänomen aufgrund der umfassenden Digitalisierung ihres Alltags vor allem die Generation Z und die Millennials, dennoch steckt dahinter ein überaus menschliches und normales Verhalten: Die Angst davor, ausgeschlossen zu werden und dadurch etwas zu verpassen, existiert, seit Menschen sich zu Gemeinschaften zusammengeschlossen haben – also seit der Steinzeit. Der digitale Wandel hat die Bedingungen aber verschärft. So fand ein britisches Forscherteam 2013 heraus, dass Social Media und FOMO zusammenhängen: Smartphones und soziale Plattformen sorgen dafür, dass wir immer auf dem Laufenden bleiben können – oder gar müssen. Pro Tag sind rund 2,47 Milliarden Nutzer weltweit auf Facebook und Co. aktiv, werden etwa 60 Milliarden Nachrichten über WhatsApp versendet und 95 Millionen Fotos und Videos auf Instagram geteilt. Darüber hinaus hat unsere Gesellschaft heute so viele Freiheiten und Möglichkeiten zur Lebensgestaltung wie nie zu vor. Der Druck und das Pflichtgefühl, sich keine Chance entgehen zu lassen, steigen dadurch extrem an.
Frust statt Genuss
Das Resultat: Wir sind permanent unzufrieden, weil wir uns nie sicher sind, ob wir uns für die richtige Option entschieden haben. Statt das Hier und Jetzt zu genießen, grübeln wir – und verpassen so das Beste. Etwa, wenn wir auf einer Party sind und währenddessen überlegen, ob wir woanders mehr Spaß gehabt hätten. Social Media bietet zudem immer Einblick in die Erlebnisse des Freundeskreises, von Influencerinnen und Influencern oder Promis. Meist schneidet im direkten Vergleich das eigene Leben schlechter ab, da andere Menschen scheinbar kontinuierlich schönere und aufregendere Dinge erleben als man selbst. Dadurch nehmen Unzufriedenheit sowie ein Gefühl der Isolation und Einsamkeit zu. Ein Teufelskreis entsteht: Wer viel Zeit auf Social Media verbringt, ist eher von FOMO betroffen, das Phänomen führt aber wieder zu einer gesteigerten Nutzung sozialer Plattformen.

Dieser andauernde Stress hat auch körperliche Auswirkungen. Bianca Bosker, Autorin und ehemalige Leiterin des Technologie-Resorts der US-amerikanischen Huffington Post, erzählt: „FOMO ist die manchmal anregende, manchmal erschreckende Angst, dass Ihnen etwas absolut Großartiges entgeht. Es könnte eine Fernsehsendung, eine Party, ein Gadget sein, es könnte dieser wirklich gute Burrito aus dem Essenswagen sein. Wichtig ist, dass FOMO nicht nur ein Geisteszustand ist, sondern auch körperliche Reaktionen hervorruft. Als FOMO-Betroffener kann ich also über Schwitzen, Juckreiz, Schrittsteuerung und zwanghaftes Aktualisieren meines Twitter-Feeds berichten.“ Langfristig können die ständige innere Unruhe und der soziale Druck zu ernsthaften Erkrankungen wie Burn-out oder Depressionen führen.
FOMO ist schlecht fürs Geschäft
Selbst an der Börse ist FOMO ein bekanntes Phänomen: Steigt etwa ein Aktienkurs, obwohl sich die anlegende Person gegen ein Investment entschieden hat, ist sie unzufrieden. Wiederholt sich diese Situation, nimmt der Druck, nichts verpassen zu wollen, so zu, dass sie irgendwann trotzdem investiert – wider die Vernunft. Sobald mehrere Anlegende auf diese Weise reagieren, werden die Preisniveaus deutlich angehoben. Manchmal kann es sogar zur Blasenbildung an den Börsen kommen. Die Folge: Übersteigen die Preisniveaus den fairen Wert, müssen sie anschließend korrigiert werden, was zu Kursrückgängen führen kann. Eine von FOMO getriebene Investition sorgt daher meist eher für Enttäuschung und mitunter sogar finanziellen Verlust. Zudem droht auch hier die Spirale: Enttäuschte Anlegende verhalten sich zunächst passiv und investieren zurückhaltend, bis der Druck, etwas zu verpassen, ins Unermessliche steigt und der Kreislauf von vorn beginnt.
Symptome und Gegenmittel
FOMO schleicht sich in unser Leben und wie bei jeder Erkrankung gibt es Warnzeichen:
- Niedergeschlagenheit: Du bist traurig oder frustriert, wenn du siehst, dass deine Mitmenschen gerade etwas Spannendes, Lustiges, Aufregendes erleben? Dein Leben fühlt sich minderwertig an im Vergleich zu den Aktivitäten anderer?
- Unruhe: Die Vorstellung, mal ein paar Stunden nicht das Smartphone checken zu können, macht dich nervös?
- Präsenz: Du planst deine Freizeitaktivitäten nicht mehr so, dass du möglichst viel Spaß hast, sondern dass es auf den Bildern perfekt aussieht? Es ist wichtiger, ständig Fotos von deinen Aktivitäten auf deinen Social-Media-Kanälen zu posten, als wirklich was zu erleben?
- Inszenierung: Nimmst du es mit der Wahrheit nicht mehr so genau und bearbeitest deine Bilder intensiv nach, wenn du dafür ein paar mehr Likes auf Instagram & Co. einkassierst?

Hast du mindestens eine Aussage mit Ja beantwortet? Dann solltest du dein Nutzungsverhalten von sozialen Medien kritisch hinterfragen. Das gilt besonders, wenn du ohnehin schon unzufrieden mit deiner Lebenssituation bist – dadurch leidest du nämlich stärker unter FOMO.
Mit ein paar Tipps kannst du gegensteuern:
1. Bewusst am eigenen Glück festhalten: Während der eine vielleicht darin aufgeht, jeden Tag joggen zu gehen, zieht der andere mehr Energie aus einem guten Buch. Deshalb ist es wichtig, sich auf die Dinge zu fokussieren, die dich persönlich glücklich machen – und nicht darauf, was nach außen reizvoll wirkt. Falls Angst und Neid doch Überhand nehmen, ruf dir in Erinnerung, dass Bilder nur einen Ausschnitt zeigen: Dein Freund steht strahlend neben dem Gipfelkreuz – die Blasen an seinen Füßen hat er aber wohlweislich nicht fotografiert.

2. Es ist gut so, wie es ist: Führe dir vor Augen, was du an deinem Leben magst. Mach dir bewusst, was dir wirklich wichtig ist und warum du deinen Alltag so gestaltest, wie du es machst. Sprich außerdem mit deinem Freundeskreis: Vielleicht sind sie auch manchmal auf dich und deinen Lifestyle neidisch und dir ist das gar nicht bewusst?
3. Mehr Zeit für dich: Apps wie „StayFree“ (Android) oder „Life Cycle“ (iOS) zeichnen das eigene Anwendungsverhalten auf und helfen, die Tätigkeiten am Smartphone zu kontrollieren. Bei vielen Smartphones kann man auch direkt über das Betriebssystem einsehen, wie viel Zeit man mit dem Gerät verbringt. Du kannst dir aber auch selbst Grenzen setzen: Bei Instagram etwa kann man sich ein Zeitlimit setzen und wird nach Ablauf der Zeit entsprechend benachrichtigt.
4. Digital detox: Bei einer digitalen Entgiftungskur verbannst du Smartphone und Co. zu gewissen Zeiten oder an bestimmten Orten aus deinem Leben. Das Smartphone bündelt viele Funktionen in sich, birgt aber auch das Risiko, daran hängen zu bleiben. Nutze deshalb (analoge) Alternativen: etwa den Wecker, Stift und Papier, Radio etc. Spezielle Seminare und Workshops lehren, wie man sein Leben wieder ohne ständige Ablenkung gestaltet.
5. JOMO ist das neue FOMO: Angst kontert man am besten mit Freude – das steckt hinter JOMO. Denn „joy of missing out“ ist die bewusste Entscheidung, etwas zu verpassen, und dabei auch noch Spaß zu haben. Probier es mal aus!