Als „Fintechs“ bezeichnet man Unternehmen, die innovative Dienstleistungen aus dem Bereich der Finanztechnologie anbieten. Viele Fachleute vertreten die These, dass sie den Bankensektor revolutionieren könnten bzw. es gerade tun. Sie sind agil, nah am Kunden und technisch auf dem neuesten Stand. Darüber hinaus unterliegen Fintechs weniger Regularien als etablierte Finanzdienstleister, es sei denn, sie haben ebenfalls eine Banklizenz.
Auf Gründungsboom folgt Fintech-Sterben
Bedingungen, die in der Vergangenheit zu einem regelrechten Gründungsboom geführt haben. So kam es 2015 und 2016 zu jeweils rund 150 Neugründungen, 2019 waren es noch 53 (Stand September 2019). Die Gesamtzahl an Fintechs in Deutschland betrug im September vergangenen Jahres genau 898. Ihre bevorzugten Geschäftsfelder: Online-Zahlungen, Mobile Banking, automatisierte Anlageberatungen sowie Finanzierungs- und Versicherungsgeschäfte. Klassische Bankdienstleistungen, die Fintechs durch den Einsatz von Big Data, Machine Learning oder Distributed-Ledger-Technologien digitalisiert haben.

Für einige von ihnen ein lukratives Geschäft, doch bei weitem nicht für alle, wie Studien zeigen. Demnach haben in Deutschland mehr als 170 Fintechs ihren Betrieb zwischen 2017 und Sommer 2019 eingestellt. Ihr Durchschnittsalter lag bei gerade einmal vier Jahren. Ein deutliches Indiz dafür, dass nur wenige den Sprung von der Seed Stage zur Growth Stage schaffen.
Als „Seed Stage“ bezeichnet man die Gründungsphase eines Fintechs, in der die Produktentwicklung und Erprobung am Markt im Vordergrund steht. Auf sie folgt die „Growth Stage“, bei der es darum geht, potente Geldgeber zu finden und zu expandieren. Hier entscheidet sich, ob ein Geschäftsmodell wirtschaftlich tragfähig ist oder zeitnah untergeht. Die Fintechs aus unserer „Top 3“ sind bereits einen Schritt weiter: Zwischen Internationalisierung, Börsengang, Kooperation und Konsolidierung versuchen sie, ihre passende Strategie zu finden.
Was Fintechs anders machen
Dabei machen sie sich ihre Spezialisierung zunutze. Denn während etablierte Finanzdienstleister und Universalbanken über große und kostenintensive Produktportfolios verfügen, suchen sich Fintechs genau jene Dienstleistungen aus, die besonders lukrativ sind und sich leicht digitalisieren lassen. Häufig sind das standardisierbare Prozesse, bei denen viele Daten anfallen und die geeignete Anwendungsmöglichkeiten für Technologien, wie Künstliche Intelligenz (KI) und Maschinelles Lernen, bieten.

Als gutes Beispiel für eine standardisierte Dienstleistung lassen sich Robo Advisor nennen. Sie automatisieren mittels KI den Prozess der Anlageberatung und können von Endkunden direkt genutzt werden. Das spart Zeit und Kosten, spricht allerdings nur einen kleineren Teil der Kundschaft an. Für ein Unternehmen mit vielen Kunden, die zum Teil großen Wert auf Service legen, ist eine solche Spezialisierung nicht möglich. Für Fintechs, die sich mit ihren Dienstleistungen ausschließlich an eine digitale Kundschaft wenden, ist das jedoch kein Problem.
Im Gegenteil: Durch die Eingrenzung ihres Angebotes können sie ihr Produkt an den Bedürfnissen der Zielgruppe ausrichten, während sie durch die Automatisierung viele Kosten sparen. So schaffen sie es, mit vergleichsweise geringen Ressourcen eine wachsende Kundschaft zu bedienen. Das Erfolgsrezept: Effizienz und Skalierbarkeit. Sie brauchen eine Infrastruktur, die starkes Wachstum ermöglicht, ohne gleichzeitig massiv in neue Mitarbeitende oder technische Weiterentwicklungen investieren zu müssen. Ein Geschäftsmodell, das die Fintechs unserer „Top 3“ erfolgreich praktizieren.
Scalable Capital: The Scale has no Limit

Scalable Capital ist Deutschlands führender Robo Advisor. Ein vollautomatisierter und digitaler Vermögensverwalter, der seiner Kundschaft mit wenigen Klicks passende Anlagemöglichkeiten heraussucht. Sowohl Privatpersonen als auch kooperierende Finanzdienstleister können den Service nutzen. Zu letzteren gehören unter anderem ING, Siemens, Barclays und Santander, die ihrer Kundschaft das Tool White Label, also unter eigenem Namen, anbieten dürfen. So kommt der smarte Roboter insgesamt auf 80.000 Kund*innen für die er in Summe rund 2,2 Milliarden Euro verwaltet. Das Unternehmen wird mit 400 Millionen Euro bewertet.
Aus der Sicht von Gründer Erik Podzuweit, der mit seinem Unternehmen langfristig an die Börse strebt, ist das allerdings erst der Anfang. Um weiter zu wachsen, bat er seine Investoren im April um zusätzliche finanzielle Mittel und bekam trotz Pandemie prompt 50 Millionen Euro zur Verfügung gestellt. Ein Vertrauensbeweis, wie viele Experten meinen. Da sich unter ihnen äußerst potente Geldgeber wie Blackrock oder der renommierte Fintech-Investor Hedosophia befinden, hat dieses Vertrauen viel Gewicht. Offenbar zurecht, denn Robor Advisor erfreuen sich unter jungen Anlegern zunehmender Beliebtheit. Für große Finanzdienstleister ist Scalable Capital mit seiner im Schnitt zehn Jahre jüngeren Kundschaft deshalb ein attraktiver Kooperationspartner. Ob sich diese Einschätzung durch einen kürzlich stattgefundenen Hackerangriff, bei dem Unbefugte Zugriff auf die Kontodaten von Nutzern hatten, ändert, bleibt abzuwarten.

Tomorrow: Nachhaltig und digital
Die Neobank Tomorrow ist ein gutes Beispiel für die strategische Besetzung einer Nische. In ihrem Fall ist das die Kombination von Digitalisierung, sie bietet ein reines Online-Konto an, und Nachhaltigkeit. Eine Kombination, mit der sie sich von ihrer Konkurrenz abhebt: Grüner als N26 oder Revolut und digitaler als GLS Bank und Co. Dazu wird ein Teil der Kontoführungsgebühren in CO2-Kompensationen gesteckt, bei Kartenzahlungen pro Euro ein Quadratmeter Regenwald geschützt und auf nachhaltige Geldanlagen geachtet (zum Beispiel mit Green Bonds). Bei der vornehmlich jungen Zielgruppe von Tomorrow dürfte das gut ankommen. Bisher wird die Mobile Banking App von über 40.000 Personen genutzt. Ziel ist es, den gesamten europäischen Markt zu erobern. Dafür sammelten die Gründer Ende 2019 rund 8,5 Millionen Euro von Investoren ein. Eine weitere Finanzierungsrunde wird gerade vorbereitet. Von der Nischenbank zur international führenden Marke – die Gründer sind sich ihrer Sache sicher. Mit den beiden Mega-Trends Nachhaltigkeit und Digitalisierung scheint das gut möglich.

Hypoport: Mit Kontinuität bis zum SDAX
21 Jahre alt, 1.351 Mitarbeitende groß und etwa 3,4 Milliarden Euro wert – der Plattformbetreiber HypoPort gehört zu den erfolgreichsten und untypischsten Fintechs in Deutschland. Als Konzern vereint er eine Reihe von Tochtergesellschaften, die Online-Marktplätze für verschiedene Finanzdienstleistungen anbieten. Dazu gehören Plattformen für Kreditvermittlungen, Immobilien und Versicherungen. Lukrative Geschäftszweige, wie ein Blick auf die Geschäftszahlen zeigt. So stiegen Umsatz und Gewinn (EBIT) im ersten Quartal 2020 um etwa 30 Prozent auf 100,6 bzw. 8 Millionen Euro an. Auch an der Börse geht der Trend klar nach oben: Zum IPO 2007 notierte man bei etwa 15 Euro, heute schwankt der Kurs um die 540 Euro (Stand 12.10.2020). Bereits seit 2015 ist Hypoport Mitglied im SDAX, dem Index für kleinere Börsenwerte. Aufgrund des starken Kursanstiegs in den vergangenen Wochen sprechen manche schon von einer Überbewertung. Doch auch wenn der Börsenhöhenflug sich nicht fortsetzt, steht das Geschäft der Hypoport dank Kooperationen mit großen Unternehmen wie Volksbanken und Raiffeisenbanken langfristig auf sicheren Beinen.