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Spektakuläre True-Crime-Fälle aus der Welt des Geldes | Teil 7

Verbrechen aus Leidenschaft? Nicht bei diesen True-Crime-Stories aus der Wirtschafts- und Finanzwelt. Hier ging es den Tätern vor allem um Habgier, Macht – und Geld!
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© Photo by David von Diemar on Unsplash
10.08.2022

Treuhandkonten, die nur von Luftüberweisungen lebten, mehr oder weniger gelungene Raubüberfälle und das berühmte Ponzi-Schema: In den vergangenen Jahren gab es allerhand spektakuläre True-Crime-Stories in der Welt der Wirtschaft und Finanzen. Wir haben uns auf eine Reise in die Vergangenheit begeben, um die spannendsten Fälle für dich zu suchen – und sind fündig geworden!

220802 FINT Artikel True Crime7 pfkz B Uh4 Ky A unsplash © Photo by Martin Sanchez on Unsplash

Güterwagen voller Geld: Englands größter Postzugraub

Das ist passiert:

Den großen Traum vom schnellen Geld träumen viele, Bruce Reynolds und seine 14 Mitstreiter haben ihn sich erfüllt. Am frühen Morgen des 8. August 1963 raubten die Männer in der Nähe von London gleich einen ganzen Güterwagon voller Bargeld. Ihr Coup ging in die Geschichte ein, denn nie zuvor hatten Postzugräuber in Großbritannien eine dermaßen große Beute gemacht: in gerade einmal 15 Minuten, ohne den Gebrauch von Schusswaffen oder auch nur eine Spur am Tatort. Für die Behörden ein Skandal, die Öffentlichkeit feierte den Überfall.

Alles begann mit einem roten Haltesignal – mitten in der Nacht, auf freier Strecke und irgendwo im Nirgendwo der Grafschaft Buckinghamshire: Das kam dem Lockführer Jack Mills schon reichlich befremdlich vor. Dann ging auch noch der Funkspruch seines Beifahrers David Whitby über den Fernsprecher am Streckenrand ins Leere. Jemand hatte die Kabel zerschnitten. Als er zurück in den Zug kletterte und dort schon zahlreiche vermummte Personen in Armeeuniformen und Bahnarbeiter-Kluften, mit Schlagstöcken, Brecheisen und Äxten bewaffnet, auf ihn warteten, war auch ihm klar: Hier stimmt etwas nicht.

220802 FINT Artikel True Crime7 8lnb Xtx FG Zw unsplash © Photo by Sharon McCutcheon on Unsplash

Aber tatsächlich lief alles nach Plan. Nach Bruce Reynolds Plan. Zunächst hatte sein Komplize Roger Cordrey die Signalanlage mit einem alten Handschuh und einer Sechs-Volt-Batterie so manipuliert, dass sie zum Anhalten aufforderte. Als der Postzug stand, schlugen die Räuber Lokführer Mills nieder, überwältigten das Begleitpersonal und koppelten sieben der neun Waggons ab – schließlich hatten sie es lediglich auf den Güterwagen mit dem Bargeld abgesehen. Die Bande zwang den überwältigten Mills, die Lok bis zur nahen Bridego-Brücke zu fahren. Dort waren als Militärfahrzeuge getarnte LKW geparkt. Die Gangster knackten die Schlösser des Güterwagons, verluden das Geld und machten sich mit gefälschten Kennzeichen aus dem Staub. In nicht einmal einer Viertelstunde war der Spuk vorbei.

So ist es ausgegangen:

Monatelanges Studieren von Eisenbahn-Fachzeitschriften und die nächtlichen Rangiertrainings auf alten Abstellgleisen hatten sich gelohnt. Die Bande um Kopf Reynolds hatte 124 Geldsäcke erbeutet, wie das „Times Magazin“ rekonstruiert hat. Darin befanden sich gewaltige 2.631.784 britische Pfund, was heute in etwa 47 Millionen Euro entspricht. Jeder der 15 Gauner hatte sich einen Anteil von rund 150.000 Pfund verdient. Ein Vermögen, das sie natürlich gebührend feierten – und dabei einen folgenschweren Fehler begingen. In einer nahegelegenen Farm fanden die Banditen Unterschlupf und zelebrierten ihren Coup mit einer Partie „Monopoly“. Natürlich mit echten Geldscheinen. Was sie dabei nicht bedachten: Fünf Tage später hoben Ermittler das Versteck aus. Die Bande war zwar längst weitergezogen. Das „Monopoly“-Spiel und eine Ketchup-Flasche aber waren noch da – übersäht mit Fingerabdrücken.

220802 FINT Artikel True Crime7 c j TL24e50c unsplash © Photo by Joshua Hoehne on Unsplash

Es dauerte nicht lange, bis Scotland Yard die ersten Banditen verhaftete. Nur ein Jahr später standen neun der 15 Postzugräuber vor Gericht. Nach und nach stellten sich auch ihre Komplizen – oder wurden im Ausland verhaftet, wie etwa Charlie Wilson, der 1968 in Kanada festgenommen wurde und danach zwölf Jahre im Gefängnis saß. Besonders skurril ist die Geschichte von Ronald Biggs. Dem Gauner war im Juli 1965 die Flucht aus der Londoner Haftanstalt Wandsworth gelungen. Um nicht mehr erkannt zu werden, ließ er sich in Paris das Gesicht operieren. Er floh daraufhin über Spanien und Australien nach Brasilien, wo er ein Kind zeugte und nicht mehr ausgeliefert werden durfte. Erst als Bandenchef Reynolds ihn überredete, kam er zurück nach England. Das war im Jahr 2001.

Reynolds selber entkam der Polizei übrigens gleich mehrmals und setzte sich schließlich nach Mexiko ab. Erst nach fünf Jahren Luxusleben kehrte er freiwillig nach England zurück, um ein Jahrzehnt hinter Gittern zu verbüßen. Gelernt hat er offenbar wenig, schließlich wurde er in den Achtzigern erneut verhaftet, diesmal wegen Drogenhandels, und saß drei weitere Jahre im Gefängnis. Im März 2013 starb er verarmt in London. Was mit dem Großteil seiner Beute passiert ist, bleibt allerdings bis heute unklar.

Du findest den Fall spannend? Das passt gut, schließlich ist die Geschichte von Bruce Reynolds mehrfach dokumentiert und sogar verfilmt worden. Zum 50. Jahrestag des Überfalls zeigte Arte zum Beispiel eine Dokumentation und hat dafür unter anderem mit Reynolds Sohn gesprochen. Als Spielfilm schaffte es „Der große Eisenbahnraub 1963: Die Geschichte der Räuber“ in die Kinos. In der Hauptrolle: kein geringer als Luke Evans, bekannt aus dem „Hobbit“.

10.08.2022