Indiens extravagantester Wertpapierhändler
Das ist passiert:
Ein Betrüger, korrupte Beamte, gefälschte Schecks, Preismanipulationen und ein riesengroßer Crash: Dieses Bollywood-reife Verbrechen hatte wirklich alle Zutaten, die ein guter Finanz-True-Crime braucht. Anders als im Film hat dieser Skandal im April 1992 jedoch einen realen Schaden angerichtet – und zwar den größten, den Indiens Finanzwelt jemals erlebt hat. Um mehr als eine Milliarde US-Dollar wurden Banken, Anleger*innen und Investor*innen damals betrogen. Sogar der Premierminister geriet unter Druck. Verantwortlich dafür war maßgeblich ein einziger Mann: Harshad Shantilal Mehta. Ein Börsenmakler aus Indien, den die „New York Times“ seinerzeit als „extravagantesten Wertpapierhändler Bombays“ bezeichnete. Wie aber hat dieser vermeintlich so gewiefte Ganove das angestellt?

An sich war sein Betrug gar nicht sonderlich ausgefallen: Weil Banken in Indien während der frühen Neunziger nicht an Aktienmärkten agieren durften, haben Händler wie Mehta das für sie erledigt. Also quetschte er Geld aus dem Bankensystem und pumpte es in den Aktienmarkt. Der Trick, den er dafür anwendete, war relativ simpel: Er ließ sich von korrupten Bankern und kleineren Instituten gefälschte Quittungen über den Kauf von Wertpapieren ausstellen und gab sie an andere Banken als Sicherheit für neue Kredite. Das Geld wiederum investierte er am Aktienmarkt – und beeinflusste damit die Kurse. So stiegen die Preise für Aktien des Zementherstellers ACC beispielsweise um bis zu 4.400 Prozent. Angetrieben von diesem Kaufrausch hatte sich der Index der Bombay Stock Exchange binnen eines Jahres mehr als verdoppelt. Allein in den drei Monaten vor dem Crash stiegen die Kurse um bis zu 60 Prozent. Die „New York Times“ verglich den Handel dort mit dem hektischen Treiben innerhalb eines Bienenstocks. Was die große Mehrheit der Anleger*innen jedoch nicht wusste – und die Banken auch nicht: Die Renditen wurden mit Geld erzielt, das faktisch gar nicht existierte. Der Crash war programmiert.
So ist es ausgegangen:
Im Laufe der Zeit schwang sich Mehta zu einem der größten Investoren des Landes auf. Er wickelte zeitweise mehr als ein Drittel des gesamten Wertpapiergeschäfts in Indien ab – und zog so das Interesse an seinen Machenschaften auf sich. Als die Öffentlichkeit schließlich mitbekam, dass seine Geschäfte illegal und die Aktien wertlos waren, fand der große Ausverkauf statt. Auch die Banken kamen dahinter, dass sie dem Betrüger Hunderte Millionen Dollar ungesicherte Kredite vermacht hatten. Der indische Finanzmarkt stürzte ab. Die Kurse fielen sofort um mehr als 40 Prozent, einigen Aktien verloren bis zu 72 Prozent an Wert: Das Finanzchaos war perfekt. Am 9. November 1992, etwas mehr als ein halbes Jahr nach Bekanntwerden seiner Trickserei, wurde Mehta verhaftet. Mehrere Bankchefs mussten bis dahin bereits zurücktreten, einer von ihnen beging sogar Suizid. Zwei Monate lang hatten die Ermittler Räume voller Dokumente durchforstet, Computerdisketten entschlüsselt und Wohnungen und Büros durchsucht, um das Ausmaß des Finanzbetrugs aufzudecken.

Mehr als 2,8 Millionen Aktien von etwa 90 Unternehmen sollen durch die gefälschten Übertragungsformulare veruntreut worden sein. Der Schaden belief sich am Ende wohl auf mehr als eine Milliarde US-Dollar. Rund zwei Jahre brauchte der indische Finanzmarkt, um sich von dem Crash zu erholen. Und der „extravagante Wertpapierhändler“? Der wurde zwar von der Börse verbannt, feierte aber kurz darauf sogar ein kurzes Comeback in der Finanzwelt: Als Börsenguru gab er auf einer eigenen Website Anlagetipps und schrieb sogar eine Zeitungskolumne. Auf der anderen Seite musste sich Mehta aber selbstverständlich mit den rechtlichen Konsequenzen seines Schwindels auseinandersetzen. Betrug, Bestechung, Dokumentenfälschung: Er wurde wegen insgesamt 72 Straftaten angeklagt und sah sich zudem noch mit mehr als 600 Zivilklagen konfrontiert. Das Strafmaß fiel dagegen absurd niedrig aus: Im September 1999 verurteile ihn das Hohe Gericht von Bombay zu fünf Jahren Gefängnis sowie zur Zahlung einer Geldstrafe in Höhe von 25.000 Yen. Das waren umgerechnet etwa 330 US-Dollar.
Du findest den Fall spannend?
Sucheta Dalal und Debashis Basu verarbeiteten den Fall in ihrem Buch „The Scam: from Harshad. Mehta To Ketan Parekh.“ Es diente als Vorlage für die Serie „Scam 1992“ – eine der bestbewerteten Serien der Welt auf der Filmdatenbank IMDb.