Der deutsche Fußballverein Borussia Dortmund hat es getan, genauso wie der spanische Traditionsclub FC Barcelona und der italienische Rekordmeister Juventus Turin – die medienwirksame Ausgabe von „Fan-Tokens“. Worum es dabei geht? Keine einfache Frage, denn auch die meisten Fans rätseln bis heute, was ihnen die vereinseignen Kryptowährungen eigentlich bringen. Immerhin: Im Fall des FC Barcelona ermöglicht der Token die Teilnahme an vereinsinternen Abstimmungen, zum Beispiel über die Stadionhymne. Dafür müssen Nutzer*innen stand (Stand Januar 2022) allerdings auch etwa fünf Euro pro Fan-Token bezahlen.

Klingt kryptisch, ist es aber nicht
Warum es für solche Fan-Beteiligungen einen Token braucht, der auf einer Blockchain gespeichert und über Krypto-Börsen gehandelt wird? Vermutlich weil es dem Zeitgeist entspricht und sich mit dem Hype um Krypto-Assets gerade viel Geld verdienen lässt. So auch beim FC Barcelona, der mit seinem Token bisher eine Marktkapitalisierung von über 15 Millionen Euro erreicht hat (Januar 2022). Etwas anders lief es dagegen bei Borussia Dortmund, wo das Projekt aufgrund von Fan-Protesten eingestampft wurde. Zu viel Marketing und Kommerz bei zu wenig Nutzen – so die Fans des Traditionsvereins.
Doch viele Expert*innen denken anders. Für sie könnten Tokens zum Schlüssel der Digitalisierung in der Finanzbranche werden – dem „Decentralized Finance“ (DeFi). Warum? Weil Tokens eine neuartige Infrastruktur mit sich bringen, die über ein enormes Effizienzpotential verfügt. Der Ansatz mag manchmal etwas kryptisch klingen, ist im Grunde jedoch ganz einfach, geht es bei DeFi und Tokenisierungen letztlich nur darum, eine Information auf mehreren Computern gleichzeitig zu speichern, um allen Teilnehmer*innen eines Netzwerks direkten Zugang zu ihr zu ermöglichen. Die dezentrale Datenbank bzw. das Protokoll, das dafür genutzt wird, bezeichnet man als Distributed Ledger, die einzelnen Dinge, die auf dem Ledger abgebildet werden, als Token (englisch für Symbol, Einzelding, Vorkommnis). Bei ihnen kann es sich um Fan-Mitgliedschaften oder Sammelkarten handeln, genauso wie um Aktien oder Anleihen.

Digitalisierung completed
Das derzeit wohl prominenteste Beispiel für einen Token sind Bitcoins. Auch bei ihnen verwalten alle Teilnehmer*innen eines Netzwerks die Währung gemeinsam, Intermediäre wie Geschäfts- und Zentralbanken braucht es nicht – weder für Emissionen noch für den Zahlungsverkehr. Gleichzeitig ermöglicht das geteilte Bitcoin-Protokoll maximale Transparenz, auch wenn Teilnehmer*innen nicht unter Klarnamen, sondern unter Pseudonymen aufgeführt werden. Mittels Tokenisierung soll sich diese Struktur nun auch auf andere Bereiche der Finanzbranche übertragen lassen. Ein Schritt, der das derzeitige System gewaltig auf den Kopf stellen könnte, da es über eine Vielzahl zentral organisierter Institutionen und analoger Teilprozesse verfügt.
Wie zentral und analog die heutige Finanzbranche ist, lässt sich gut an der Emission von Wertpapieren erkennen, die nach wie vor als materielle Urkunden ausgegeben und an zentralen Stellen physisch verwahrt werden. Eine Praxis, die weitere analoge Prozesse nach sich zieht oder zumindest ein manuelles Nacharbeiten nötig macht. So etwa beim elektronischen Handel, bei dem lediglich die Kommunikation elektronisch abläuft, die Wertpapiere aber stets analog bleiben. Mit Tokens wäre das anders und perspektivisch eine vollständige Digitalisierung aller Finanzprozesse möglich. Nicht nur das: Die Prozesse würden durch die tatsächliche Digitalisierung der Wertpapiere auch deutlich schlanker, da der Austausch von Tokens innerhalb des Netzwerks keiner Mittelsmänner mehr bedürfte. Das Resultat: Niedrigere Kosten, höhere Transparenz und eine schnellere Abwicklung.

Too big – it has to fail?
Anders als bei Fußballvereinen können Tokens in der Finanzbranche also einen echten Mehrwert darstellen. Von reinem Marketing und der Ausnutzung eines medialen Hypes kann hier nicht mehr die Rede sein. Dennoch stellt sich die Frage, wie es die Technologie künftig zu einer breiteren Anwendung schaffen soll. Immerhin ist ihr disruptives Potenzial so groß, dass es für das Geschäftsmodell etablierter Finanzdienstleister*innen eine enorme Gefahr darstellt. Ob Handelsplätze, Börsenmakler*innen, Banken, Notar*innen, Berater*innen, Anwält*innen oder institutionelle Anleger*innen – sie alle könnten durch die Verbreitung von Tokens deutlich an Einfluss und Geschäftsmöglichkeiten verlieren. Ihr Anreiz, in die Tokenisierung zu investieren, dürfte deshalb relativ klein sein, es sei denn, sie opfern ihr altes Geschäftsfeld frühzeitig auf, um zum „First Mover“ der neuen DeFi-Welt zu werden. Wahrscheinlicher ist allerdings, dass sie es bei den üblichen Krypto-Talks, Keynotes und Prototypen für PR-Zwecke belassen und sich weiter auf ihr bestehendes Geschäft konzentrieren.

Die große Disruption wird deshalb von anderen Unternehmen erwartet, die weniger zu verlieren haben und innovativer sowie risikofreudiger sind. Kurz: Den Fintechs. Ein Paradebeispiel hierfür ist das Frankfurter Unternehmen Cashlink, das seinen Kunden eine All-in-One Softwarelösung für die Tokenisierung von Wertpapieren anbietet. Der Service richtet sich vornehmlich an professionelle Finanzdienstleister*innen, die in ihrem Geschäftsalltag mit der Verwaltung und dem Handel von Wertpapieren zu tun haben und ihre Prozesse vollständig digitalisieren wollen. Aufgrund seiner vielversprechenden Ansätze hat das Unternehmen bereits eine Reihe prominenter Investor*innen an Bord, wie Carsten Maschmeyer und den Company Builder Finlab. Konkrete Anwendungen gibt es allerdings auch bei Cashlink nur in der Form von Prototypen. Bisher hat sich das Unternehmen vor allem darauf konzentriert, die sich stets wandelnde Regulatorik der noch jungen DeFi-Welt zu studieren und aufwendige Zertifikate und Erlaubnisse bei der BaFin einzuholen.
Revolution im Hintergrund
Weitere deutsche Token-Fintechs sind die Unternehmen NeoFin und Tangany. Auch sie operieren in einem professionellen Umfeld und haben sich nicht weniger als die Disruption der Kapitalmärkte zum Ziel gesetzt. Von einem Umsturz des derzeitigen Systems sind allerdings auch sie noch weit entfernt. Zum Vergleich: Allein bei Aktien lag das weltweit gehandelte Volumen im Jahr 2020 bei rund 186 Billionen US-Dollar. Dass Token-Fintechs den konventionellen Finanzdienstleister*innen diesen Handel in absehbarer Zeit abnehmen, ist schwer vorstellbar. Ein Artikel von zwei Expert*innen im Szene-Magazin „The Daily Hodl“ geht davon aus, dass sich der europäische Markt für Krypto-Assets und Tokens 2024 auf rund 1,5 Billionen belaufen könnte und jährlich mit einer Rate von etwa 26 Prozent wächst. Solche Schätzungen sind allerdings reine Spekulation.

Bevor Token-Anbieter*innen einen wesentlichen Teil zur Abwicklung von Finanzdienstleistungen beitragen, vergeht also noch etwas Zeit. In der breiten Öffentlichkeit dürften sie bis dahin weiter als ein „kryptischer“ Medienhype mit unklarem Nutzen angesehen werden. Genau genommen ein Fehler, denn hinter den technischen Spielereien verbirgt sich in Wirklichkeit eine Börsen-Technologie, die einigen Finanz-Firmen ziemlich gefährlich werden könnte. Doch solange Marketing-Abteilungen unter großer Aufmerksamkeit der interessierten Öffentlichkeit tokenisierte Sammelkarten, Cola-Dosen und Sneaker auf den Markt bringen, wird die eigentliche Innovation im Hintergrund bleiben – quasi als Wolf im Schafspelz der Finanzbranche. Früher oder später dürfte der jedoch seinen Weg aus der Nische ans Tageslicht finden.