Während die Realwirtschaft unter der Pandemie leidet, boomen die Finanzmärkte wie lange nicht. Vergessen sind die Turbulenzen und Unsicherheiten aus dem vergangenen Frühjahr. Staatshilfen in Billionenhöhe sorgen für Rekordstände beim DAX und beim Dow Jones. Anlegende auf der ganzen Welt befinden sich in Hochstimmung. Ein Börsenboom, von dem auch die SPACs profitieren.

Der Begriff SPAC steht für Special Purpose Accquisition Companies und bezeichnet einen neuen Börsentrend aus den USA, bei dem namhafte Fondsverwaltende Geld einsammeln und in Start-ups investieren. Das Geld bekommen sie über eine Mantelgesellschaft, die stellvertretend für die Start-ups an der Börse gehandelt wird. Die Mantelgesellschaft selbst verfügt dabei über kein operatives Geschäft. Ihr einziger Zweck ist, sich an Unternehmen (sogenannten Targets) zu beteiligen, die für einen eigenen Börsengang noch zu klein sind oder nicht über die nötigen Ressourcen verfügen.
Win-win-Situation?
Für Aktionäre stellen SPACs oft eine vielversprechende Möglichkeit dar, sich frühzeitig in unbekannte und innovative Unternehmen einzukaufen. Für Start-ups sind sie eine gute Gelegenheit, sich mit einer saftigen Finanzspritze von der „seed stage“ in die „growth stage“ zu katapultieren. Anders als bei einem traditionellen Börsengang muss das Start-up dafür keine teuren und langwierigen Prüfungsverfahren über sich ergehen lassen. Eine Win-win-Situation für Anlegende, Verwaltende und die Unternehmenden – zumindest in der Theorie.
In der Praxis kann das auch anders laufen, doch dem SPAC-Hype hat das bisher nicht geschadet. Ganz im Gegenteil sogar: 2020 war in den USA fast jeder zweite Börsengang ein SPAC, insgesamt 248 Stück. Ihr Gesamtvolumen lag bei rund 83 Milliarden Dollar. Anfang 2021 hat sich der Trend noch einmal verstärkt. Allein im Januar gingen in den USA um die 100 Firmenmäntel an die Börse. Auch in Indien, Israel und China boomte das neue Geschäftsmodell. In Deutschland war es um den Trend dagegen lange ruhig, bis am 22. Februar in Frankfurt ein erster SPAC aufgelegt wurde.
Die Katze im Sack

Sponsor des deutschen SPACs ist der Star-Investor Klaus Hommels, der sich damit vor allem auf Start-ups aus der Tech-Branche spezialisieren will. Wer genau diese Firmen sind, ist allerdings noch offen, da SPACs 24 Monate Zeit haben, um ihre Investitionen zu tätigen. Erst danach wissen Anlegende, was sie mit ihrem Geld überhaupt gekauft haben. Und im Fall von Lakestar SPAC I, so der Name des deutschen SPACs, wurden immerhin 275 Millionen Euro eingesammelt.
Vertrauen spielt bei dem Anlagekonstrukt also eine wichtige Rolle. Um das zu gewinnen, werben die SPAC-Verwaltenden mit bisherigen Börsenerfolgen, exklusiven Kontakten und einmaligen Branchenkenntnissen. Doch was, wenn sich die ausgesuchten Unternehmen als „lame duck“ entpuppen?
Eine im November 2020 angefertigte Studie der Stanford Law School zeigt, dass das häufiger vorkommt. Laut ihr haben amerikanische SPACs in den ersten sechs Monaten nach ihren Übernahmedeals durchschnittlich 12 Prozent an Wert verloren, obwohl ihre Börse (Nasdaq) insgesamt um 30 Prozent zulegte. Die Verwaltenden der SPACs konnten dank hoher Gebühren trotzdem satte Gewinne machen. Wie das möglich ist, zeigt der Fall Nikola. Der amerikanische Hersteller von Elektro-Trucks ging im Juli 2020 unter der Schirmherrschaft von Finanz-Guru Bill Ackmann als größter Firmenmantel der noch jungen SPAC-Geschichte an die Börse. Getragen vom Hype notierte die Aktie zwischenzeitlich bei knapp 80 Dollar, doch als Shortseller dem Truckhersteller Betrug vorwarfen, folgte der Crash. Und tatsächlich: Ein Werbevideo, auf dem die Trucks von Nikola fahrend zu sehen waren, entpuppte sich als Fake. Die angeblich fahrtüchtigen Trucks rollten in Wahrheit lediglich einen Berg herunter. Die Aktie stürzte ab und steht heute bei nur noch 14 Dollar (März 2021).
Ein gefährliches Spiel mit Erwartungen
Für viele Kleinanlegende, die auf den langfristigen Durchbruch gesetzt hatten, wurde das zum Verlustgeschäft. Aktionäre dagegen, die die Aktie nur kauften, um sie mit Kursgewinn schnell wieder abzustoßen, profitierten. Ein Spiel mit den Erwartungen, bei dem derjenige gewinnt, der zum richtigen Zeitpunkt den Absprung macht.

So weit, nichts Neues – könnte man nun meinen. Immerhin besteht die Aufgabe der Börse genau darin, den Handel mit Erwartungen über künftige Erfolge und Misserfolge zu ermöglichen. Und in Zeiten von geringen Wachstumsraten und anhaltenden Niedrigzinsen bleibt denjenigen, die hohe Renditen einfahren wollen, nun mal nichts anderes übrig als ins Risiko zu gehen. Von Investorenhand verlesene Start-ups kommen da genau richtig, um die Renditechancen des eigenen Portfolios etwas zu erhöhen. Vor dem Hintergrund der allgemeinen Wirtschaftslage ist der Trend zum Firmenmantel also durchaus nachvollziehbar.
Ungeprüft zur Börsenreife

Doch aus rechtlicher Sicht sind SPACs eine Lücke im System, die es kaum regulierten Start-ups ermöglicht, ohne große Publikationspflichten an die Börse zu gelangen. Dabei soll ein „public offering“, also eine Börsennotierung, eigentlich genau das Gegenteil bewirken: möglichst hohe Transparenz für eine exakte Bewertung am Markt. Doch um die verheißungsvollen Targets von SPACs gründlich zu überprüfen, fehlen oftmals die nötigen Geschäftszahlen. SUnd so kann es schon mal vorkommen, dass gefakte Werbevideos als Nachweis für die Börsenreife eines Start-ups herhalten müssen. Vertrauen statt Kontrolle – ein Umstand, der vor allem für Kleinanlegende zum Problem werden kann. Denn anders als institutionelle Investierende haben sie weitaus weniger Möglichkeiten, SPACs und ihre Targets selber unter die Lupe zu nehmen.
Ein Vorgang, der auch als Due Dilligence (sorgfältige Prüfung im Rahmen eines Börsengangs) bezeichnet und nicht selten von mehreren Banken, Wirtschaftsprüfern und Rechtsanwälten übernommen wird. Bei den verkürzten Börsengängen der SPACs reduziert sich das jedoch auf ein Minimum. Die Verfassenden der Standford-Studie sprechen sich deshalb für höhere Transparenzvorschriften und Regulierungen aus. Doch von den Marktaufsichten ist dazu bisher wenig zu hören, weshalb Anlegende sich einen SPAC sehr genau anschauen sollten, bevor sie investieren. Nicht umsonst werden die Mantelfirmen in den USA auch „Blankoschecks“ genannt.