„Dieser Fehler ist einzig und allein mein Fehler.“ Mit diesen Worten ließ Bundeskanzlerin Angela Merkel aufhorchen. Sie gestand, den für die Osterfeiertage geplanten Corona-Lockdown nicht bis zum Ende durchdacht zu haben und revidierte ihn kurzfristig. Gleichzeitig bat sie die Bevölkerung um Verzeihung. Dafür erhielt sie (zurecht) von fast allen Seiten Lob und Anerkennung. Doch warum erregt es derartiges Aufsehen, einen Irrtum einzugestehen? Klar, es ist ungewohnt, dass Politiker*innen, vor allem Regierungschef*innen zugeben, etwas falsch gemacht zu haben.

Nichtsdestotrotz zeigt es auch, dass Missgeschicke in unserer Gesellschaft nach wie vor als ein Zeichen von Schwäche und Fehlbarkeit interpretiert werden. Sie einzugestehen, benötigt eine Menge Selbstbewusstsein und vielleicht auch Sicherheit. Doch sollte die Gesellschaft wirklich so mit Fehlern umgehen? Wo diese doch nur zu menschlich sind – wie Seneca mit seinem berühmten Sprichwort „Errare humanum est“ für die Ewigkeit festhielt. Weniger bekannt ist hingegen der zweite Teil des Satzes: „(..), sed in errare perseverare diabolicum.“ Sinngemäß sagte der römische Dichter also: Irren ist menschlich – doch aus dem Irrtum nichts zu lernen, ist der wahre Fehler.
Ohne Scheitern keine Innovation
In einer Welt, die von Schnelllebigkeit, Disruption, Unsicherheit und Volatilität geprägt ist, sind Fehlgriffe an der Tagesordnung und die Wahrscheinlichkeit, diese zu tätigen, größer als jemals zuvor. Denn: Der gegenwärtige Zeitgeist ist von Innovationen getrieben und Innovationen brauchen Freiheit, getreu dem Motto: „Mach einfach mal“. Und wer etwas Neues ausprobiert, sich auf unbekannte Pfade begibt, wird Fehler machen und vielleicht auch scheitern. Aber um wirklich innovativ zu sein, braucht es die Gewissheit, auch mal etwas falsch machen zu dürfen, ohne Konsequenzen fürchten zu müssen. Aufgrund einer mangelhaften Fehlerkultur in vielen deutschen Unternehmen, die im „Weltranking Fehlertoleranz“ auf Platz 60 von 61 rangieren, ist die Angst vor dem Scheitern trotzdem weit verbreitet. Und das, obwohl die Organisationen von einer positiven Fehlerkultur ebenso wie die Mitarbeiter*innen profitieren könnten. Dafür müssen die Firmen allerdings lernen, die vielfältigen Vorteile eines offenen und fairen Umgangs mit Missgeschicken zu begreifen – und für sich zu nutzen.

Um die positiven Aspekte zu verdeutlichen, lohnt sich ein Blick auf eine interessante Statistik: eine destruktive Handhabung von Verfehlungen der Mitarbeitenden kann Unternehmen bis zu 20 Prozent an Profitabilität kosten. Darüber hinaus schwinden das Selbstwertgefühl, die Motivation und das Selbstbewusstsein der Mitarbeiter*innen, wenn die Unternehmenskultur von Angst geprägt ist. Eine konstruktive Fehlerkultur bewirkt hingegen eine kontinuierliche Verbesserung des Unternehmens und seiner Mitarbeiter*innen, fördert effizientes Arbeiten, erleichtert im Optimalfall künftig die Fehlerbehebung und steigert die Innovationsfähigkeit. Diese Fülle an Vorzügen sollte für Organisationen Grund genug sein, sich mit dem Thema zu beschäftigen. Doch was braucht es, um einen konstruktiven Umgang mit dem Scheitern zu implementieren?
Kein Tabuthema
Zunächst sollten Vorgesetzte die gegenwärtige Unternehmenskultur in den Blick nehmen: Gibt der Ist-Zustand die nötigen Voraussetzungen für eine konstruktive Fehlerkultur überhaupt her? Werte wie Vertrauen, Loyalität, Mut, Lernbereitschaft, Risikobewusstsein, Offenheit, Verständnis und Konfliktfähigkeit bilden hierbei die notwendige Basis. Auf diesem Fundament können Organisationen aufbauen. Laut Achim Krist, Co-Autor des Buches „Führen ohne Druck“, auf der Basis der genannten Werte an folgenden Fragen orientieren:
- - Wer hat den Fehler gemacht?
- - Was können Beteiligte unternehmen, um die Auswirkungen und Konsequenzen möglichst zu minimieren?
- - Was können Mitarbeitende tun, damit derselbe Fehler nicht noch einmal passiert?

Die Erste ist (leider) oft die Naheliegende. Jedoch sollte diese Frage keine Priorität besitzen, da die Klärung der Schuldfrage mit ziemlich hoher Wahrscheinlichkeit nicht zu einer offenen Kommunikation führen wird. Viel eher werden Mitarbeiter*innen versuchen, Fehler aus Angst vor Konsequenzen zu vertuschen. Wichtiger ist die Antwort auf die zweite Frage, da sie den offenen Dialog fördert, einen Lernprozess anstößt und den Teamgedanken in den Mittelpunkt stellt. Gleichzeitig sollten sich Vorgesetzte intensiv mit der dritten Frage beschäftigen. Im Rahmen der Spurensuche ist auch die Frage nach der oder dem Fehlerverursacher*in zu klären.
Shit happens
Allerdings nicht, um die- oder denjenigen zu sanktionieren. Die Antwort ist wichtig, um die Ursache herauszufinden. Sind Mitarbeiter*innen überfordert oder gestresst? Wurden sie nicht korrekt eingearbeitet? Gibt es Probleme, die im System liegen oder gar tief im Unternehmen verankert sind? Sind diese Fragen erst einmal geklärt, können Beschäftigte ebenso wie die Organisationen davon profitieren, da eine offene Kommunikation das Vertrauen innerhalb des Unternehmens stärkt, sich Mitarbeiter*innen sicherer fühlen und die Wahrscheinlichkeit, denselben Fehler ein zweites Mal zu begehen, drastisch sinkt.

Hierfür müssen Organisationen wie Angestellte gleichermaßen offen sein. Das heißt, dass Mitarbeiter*innen bereit sein müssen, aus Verfehlungen zu lernen. Führungskräfte hingegen sollten sich eine Fehlerkompetenz aneignen, diese vorleben und ihr Team motivieren. Sind diese Voraussetzungen erst einmal geschaffen, sollte der offene Umgang mit Fehlern künftig weder ein Zeichen von Schwäche noch von Stärke, sondern einfach völlig normal sein – für Politiker*innen, römische Philosophen und alle anderen auch.