
Vom Finanzmarkt geht es jetzt aber erst einmal in den Chemieunterricht oder den Mathekurs. Denn gerade während der Schulzeit wurden in Unterrichtsfächern, für deren Inhalte man sich nicht gerade brennend interessiert hat, die Hausaufgaben oder die Prüfungsvorbereitung zur echten Qual. Allein das stupide auswendig Lernen von Vokabeln oder vom Periodensystem, das man feinsäuberlich auf unzählige Karteikärtchen geschrieben hat. Mit Spaß hatte all das recht wenig zu tun, leider. Viel unterhaltsamer war dagegen die Zeit nach den Hausaufgaben und nach dem Lernen, wenn man draußen mit den Freund*innen spielen – oder am Gameboy beziehungsweise der Spielekonsole daddeln konnte. Genau hier setzt das Konzept der Serious Games an.
Angefangen hat alles mit einfachen Flugsimulatoren
Geprägt wurde der Begriff „Serious Games“ bereits Anfang der 1970er-Jahre vom Forscher Clark C. Abt. „Wir haben es hier mit ernsten Spielen in dem Sinne zu tun, dass diese Spiele einen ausdrücklichen und sorgfältig durchdachten Bildungszweck verfolgen und nicht in erster Linie zur Unterhaltung gedacht sind“, schreibt er damals in seinem Buch „Serious Games“. Doch bereits lange vor Abts Buch, circa Anfang des 19. Jahrhunderts, gab es Spiele, die einen Bildungszweck verfolgten: einfache Flugsimulatoren. Mit der Zeit und der voranschreitenden Digitalisierung haben sich diese natürlich immer weiterentwickelt. Heutzutage spielen Kinder und Jugendliche nicht mehr mit rudimentären Simulatoren, sondern auf hochmodernen Konsolen.

Serious Game vs. Videospiel
Abgesehen vom Lerninhalt sind Serious Games aber im Prinzip aufgebaut wie „normale“ Videospiele und folgen daher auch bekannten Spielmechanismen wie verschiedenen Levels, Zeitlimits, Belohnungen und Erfahrungspunkten sowie Quests – also kleineren Aufgaben innerhalb des Spiels oder auch Fortschrittsbalken. Auch Handlung und Charaktere müssen wie beim klassischen Videospiel überzeugen. Wichtig ist auch, dass die Spielenden verschiedene Handlungs- und Interaktionsmöglichkeiten haben, um Autonomie erfahren zu können. Sie sollen sich ausprobieren und sich in Rollen hineinversetzen können – und zwar ohne Konsequenzen in der Wirklichkeit fürchten zu müssen. Sobald die Spieler*innen jedoch das Gefühl haben, dass sie hier gerade etwas lernen sollen – oder müssen, ist der Effekt dahin. Die richtige Balance zwischen genügend Lerninhalten und unterhaltenden Spielereien zu finden, ist daher manchmal gar nicht so einfach.
Ob Sprachen oder Demokratie: Serious Games machen das Lernen leichter
Mittlerweile gibt es zahlreiche Beispiele für gelungene Serious Games. In „Energetika“ müssen die Spielenden beispielsweise in einem fiktiven Zukunftsstaat für eine umweltverträgliche Energiepolitik sorgen. Und zwar unter Berücksichtigung der Sorgen und Ängste der Bürger*innen sowie den Ratschlägen von Fachleuten. Im Spiel „Democracy 3“ hingegen nehmen die Spielenden die Rolle eines Staatsoberhaupts ein und müssen versuchen, die Wiederwahl zu erreichen. Berücksichtigt werden dabei unter anderem die Interessen verschiedener Gruppen oder ob man politische Krisen gut managen kann.

An der Technischen Universität (TU) München entwickelte eine Gruppe Studierender sogar bereits 2016 ein Computerspiel, mit dem es leichter werden sollte, japanische Kanji-Schriftzeichen zu lernen. Das Schreiben und vor allem memorieren dieser Schriftzeichen sei enorm schwierig. Die Idee: Im ersten Teil des Games müssen Spieler*innen verschiedene Schriftzeichen auf einem Tablet nachmalen, um sich diese besser einzuprägen. Der zweite Teil ist dann aufgebaut wie ein Jump-and-Run-Spiel: Als kleiner chinesischer Drache muss man sich im Spiel fortbewegen und kann ausschließlich mit den vorher erlernten Zeichen kommunizieren.
Börse hautnah
Dies ist aber nicht das einzige Serious Game, dass die TU in München realisiert hat. Der dortige Lehrstuhl für Finanzmathematik verfügt über einen ganz besonderen Computerraum: die „RiskFactory“. Klingt im ersten Moment wenig beeindruckend, ist deutschlandweit jedoch eine einzigartige Lehreinrichtung. Denn hier erleben die Studierenden als „Market-Makers“ eine Simulation des echten Börsengeschehens. In dieser können sie sowohl untereinander als auch mit computergesteuerten Händlern agieren, lernen, auf Marktbewegungen und Nachrichten zu reagieren, das Risiko ihres Handelsbuches zu steuern – und im hektischen Treiben einen kühlen Kopf zu bewahren. „Irgendeiner fängt immer an zu zocken", so Rudi Zagst, Professor für Finanzmathematik an der TU München. „In diesem Spiel lernen die Studenten, dass sie im echten Leben an der Börse besser nicht spielen sollten.“

Nüsse oder Euro: Hauptsache sparen
Doch nicht nur das komplexe Thema Börse kann dank Serious Gaming verständlicher gemacht werden. Auch das für viele als zäh und trocken empfundene Thema Finanzen lässt sich auf eine spielerische Art und Weise erlernen. Bereits Anfang 2021 hat VisualVest, ein FinTech und Tochterunternehmen der Union Investment, die kostenlose Spiele-App „InvestNuts“ sowohl für iOS als auch Androidauf den Markt gebracht. Hier schlüpfen Jung und Alt in die Rolle eines Eichhörnchens. Das Ziel: durch schlaues Verbuddeln unterschiedlicher Nusssorten die harten Wintermonate zu überstehen und einen kleinen Nussvorrat aufzubauen. In Finanzsprache bedeutet das so viel wie: vorausschauende Finanzplanung, den Zusammenhang zwischen Rendite und Risiko einer Investition verstehen sowie die Vorteile von Diversifikation. Besonders praktisch: Die Entwickler*innen haben ein kleines Lexikon im Spiel eingebaut, mithilfe dessen die Spielenden den Zusammenhang der Spielemechaniken in der Eichhörnchen-Welt mit den Phänomenen der echten Finanzwelt lernen können.