Während bei den meisten von uns bei Quantencomputing ein großes Fragezeichen auf dem Gesicht auftaucht, ist Martin Hofheinz voll in seinem Element. Als Innovationsmanager bei der Fiducia & GAD kennt er sich nämlich mit den Trends der Finanzbranche aus und verfolgt die Entwicklung der Technologie schon seit einiger Zeit. Hier teilt er sein Wissen mit uns und gibt einen Einblick in die Welt der Superrechner.

Martin, vor Kurzem haben wir uns mit deinem Kollegen Michael Luks über die Trends für Banken 2021 unterhalten. Dabei fiel auch der Begriff Quantencomputing. Was verbirgt sich dahinter?
Die Technik der Computer, wie wir sie aus Beruf und Alltag kennen, stößt allmählich an ihre physikalischen Grenzen. Das heißt, Wachstum ist nur noch durch die Parallelisierung von Rechnern möglich, aber nicht mehr durch fortschreitende Technik. Denn herkömmliche Computer verwenden Bits, die immer den Zustand Null oder Eins haben. Quantencomputer hingegen basieren auf sogenannten Qubits – das sind dreidimensionale Bits, die mehrere Zustände gleichzeitig haben können. Dadurch stehen dann ungeahnte Rechenleistungen zur Verfügung, sodass Ergebnisse, für die man vorher Jahre benötigt hat, in kürzester Zeit erzielt werden. Mithilfe von Quantencomputing können wir komplizierte Vorhersagen treffen, Simulationen sämtlicher Infrastrukturen und Abläufe einer Stadt erstellen oder Medikamente in kurzer Zeit entwickeln. Viele verschiedene Branchen werden davon profitieren, etwa in den Bereichen Raumfahrt, Verkehrslenkung, Smart City, Materialforschung, Medizin und Impfstoffe. Das große Ziel ist es, mit der Technologie schnellere und intelligentere Lösungen zu erreichen.
Was sind Quanten und wie funktionieren Superrechner?
Ein „Quant“ ist der kleinstmögliche Wert einer physikalischen Größe, es kann nicht geteilt werden und ist etwa mit der Einheit der Pixel eines digitalen Fotos vergleichbar. In einem Quantencomputer kann das Molekül sowohl ein geladenes Atom (Ion) als auch eine bestimmte Menge von Elektronen in einem Kreisstrom sein. Zudem sind Quanten äußerst fragil: Sie brauchen Temperaturen um den absoluten Nullpunkt, Vakuumbedingungen und eine elektromagnetische Abschirmung, um zu funktionieren. Erschütterungen können bereits zu falschen Ergebnissen führen. Dennoch bilden sie die Grundlage für Quantencomputing. Die Besonderheit universeller Quantencomputer liegt in ihrer Rechenleistung – die ist nämlich nicht linear wie bei herkömmlichen PCs, sondern verdoppelt sich mit jedem Qubit. Dadurch ergeben sich bei zwei Qubits vier Kombinationsmöglichkeiten, bei drei Qubits sind es acht usw. Doch nicht nur die Zahl der Qubits ist wichtig, sondern auch deren Qualität. Durch ihre Fragilität sind die Teilchen fehleranfällig, ihre Berechnungen sind mit einer höheren Wahrscheinlichkeit falsch als die Ergebnisse herkömmlicher Computer. Mit entsprechender Software lässt sich das ausgleichen: Denn durch die deutlich höhere Rechenleistung können Aufgaben in kurzer Zeit mehrmals durchgerechnet werden. Kommt dann etwa bei zehn Versuchen achtmal dasselbe Ergebnis heraus, gilt es als korrekt – die beiden falschen Resultate werden fehlerhaften Qubits zugeschrieben. Quantencomputer sind daher sehr komplex in Aufbau und Arbeitsweise. Es gibt aber auch einfachere Ausführungen, sogenannte Quanten-Annealer, die sich allerdings nur für bestimmte Aufgaben eignen. Sie sind bereits im Einsatz – etwa beim Autobauer VW, um Simulationen zur intelligenten Verkehrssteuerung zu erstellen.
Tech-Riesen wie IBM, Google und Alibaba forschen derzeit – ebenso wie kleinere Unternehmen und Start-ups – an Quantencomputern. Analysten von Morgan Stanley gehen davon aus, dass der Markt für High-End-Quantencomputer bis 2025 auf zehn Milliarden Dollar pro Jahr ansteigen wird. Warum sind alle so heiß auf die Technologie?
Die Technologie ist so begehrt, da Unternehmen mit dieser riesigen Rechenleistung neue Anwendungsfälle umsetzen können. Ihnen eröffnen sich dadurch bislang unbekannte Welten. Das Potenzial ist enorm: Google ist es zum Beispiel mit dem Quantenprozessor „Sycamore“ gelungen, den Algorithmus einer zufällig erzeugten Zahlenreihe zu beweisen. Und zwar innerhalb von drei Minuten und 20 Sekunden – herkömmliche Computer bräuchten dafür normalerweise 10.000 Jahre. Diesen Fortschritt bezeichnet man als Quantenüberlegenheit (engl. Quantum Supremacy): Bisher unlösbare Aufgaben werden jetzt lösbar. Für Unternehmen macht Quantencomputing den Unterschied: Wer zuerst mit Quanten rechnet, wird allen anderen einen Schritt voraus sein.

Bei der Fiducia & GAD haben wir uns mit IBM zusammengetan, um Erfahrung im Umgang mit Quantencomputing aufzubauen und erste Anwendungsfälle im Banking durchzuspielen. Denn mithilfe der Technologie kann eine Bank in Zukunft zum Beispiel Kreditentscheidungen in Sekundenschnelle treffen, während andere dafür mindestens einen Tag brauchen – das ist ein klarer Wettbewerbsvorteil. Auch andere Bereiche wie Rating, Controlling, Fraud Detection, Geldwäsche oder Predictive Analytics profitieren davon. Weitere Möglichkeiten ergeben sich an der Börse. Analytics und Quantencomputing helfen, Veränderungen am Finanzmarkt schnell zu erkennen und zu bewerten – und dann passend darauf zu reagieren, indem das Anlagedepot geändert oder Aktien verkauft werden. Neben den Technologien braucht es allerdings auch Personal mit entsprechenden Skills, das die Quantenrechner bzw. die Algorithmen dafür programmieren kann.
Das große Ziel ist es, mit der Technologie schnellere und intelligentere Lösungen zu erreichen.
Martin Hofheinz, Fiducia & GAD
Welche Möglichkeiten eröffnen sich mit der Technologie?
In Verbindung mit autonomen Fahrzeugen kann zum Beispiel die Verkehrsinfrastruktur ganzer Städte gelenkt werden – vom Verkehrsfluss über die Entzerrung von Staus bis hin zur Parkplatzsuche. Die Autos generieren Informationen zum Verbrauchsverhalten beim Elektrostrom, zu Hauptverkehrsströmen oder der Parkplatzbelegung, damit können Kommunen die Infrastruktur weiter verbessern. Irgendwann wird es möglich sein, virtuelle Welten komplett zu simulieren – das Holodeck aus Science-Fiction-Filmen könnte Wirklichkeit werden. Computer, die selbst lernen und sich selbst programmieren, sind ebenfalls denkbar: Künstliche Intelligenz wird noch mal einen massiven Entwicklungsschub bekommen.

Das ist ja erst mal Zukunftsmusik. Sollten sich Unternehmen und Banken trotzdem schon heute mit Quantencomputing auseinandersetzen?
Ja, vor allem Unternehmen, die Verschlüsselungstechniken nutzen, müssen sich zwingend jetzt schon mit der Technologie vertraut machen. Denn herkömmliche Kryptoverfahren können mit Quantencomputing leicht geknackt werden. Unternehmen müssen sich deshalb einen Vorsprung verschaffen und neue Algorithmen entwickeln, um ihre Daten weiterhin sicher zu verschlüsseln.
Quantencomputer und Cyberkriminalität – das klingt nach einer üblen Verbindung. Welche Gefahren drohen?
‚Damit ließe sich viel Unheil anrichten‘, hat der Kryptograf Johannes Buchmann dazu mal gesagt – und diese Einschätzung teile ich. Natürlich forschen nicht nur Tech-Unternehmen an den Superrechnern, sondern auch Militär, Geheimdienste und Hacker. Man kann also davon ausgehen, dass irgendwann Quantentechnologie eingesetzt wird, um Firmen oder sogar Staaten Schaden zuzufügen. Zum Beispiel, indem ihnen für Berechnungen manipulierte oder gefälschte Daten zur Verfügung gestellt werden. Die Resultate daraus stimmen dann nicht, was je nach Einsatzgebiet massive Folgen haben kann – ganze Infrastrukturen könnten so lahmgelegt werden. Man denke nur an die Störungen im iranischen Atomprogramm durch die Malware „Stuxnet“. Deshalb muss klar sein: Quantencomputer sind auch Waffen, die gegen Menschen und Staaten eingesetzt werden können.
Quantencomputer sind auch Waffen, die gegen Menschen und Staaten eingesetzt werden können.
Martin Hofheinz, Fiducia & GAD
Die große Frage ist: Wann wird die Technologie Marktreife haben?
Noch lässt sich das nur schwer abschätzen. Ich rechne damit, dass Quantencomputer in Spezialfällen schon in wenigen Jahren Standard sein werden – etwa bei der NASA oder der Entwicklung von Smart Cities im arabischen Raum. Im Banking hängt der Entwicklungsfortschritt aber auch von den Kosten, von der allgemeinen Verfügbarkeit der Superrechner und dem konkreten Nutzen für den Anwender ab. Es bleibt also weiterhin spannend!

Neugierig auf mehr? Dann merk dir den 24. und 25. Juni vor, denn Martin wird auch bei FINTROPOLIS auf der Bühne stehen.