Wenn es um ihre digitale Kompetenz geht, bekommen Lehrkräfte in Deutschland keine guten Noten: Bei einer Umfrage im Mai trauten 60 Prozent der Befragten den Lehrenden nicht zu, Fernunterricht per PC oder Tablet durchführen zu können. Kinder wachsen zwar als Digital Natives auf, oft fehlen ihnen aber digitale Grundlagen und IT-Expertise. Denn Medienbildung steht bislang nicht auf den Stundenplänen. Dabei ist der sachkundige Umgang mit digitalen Medien essenziell für den Erfolg in der Arbeitswelt von morgen. Davon sind Entscheidungsbefugte in Unternehmen und Lehrkräfte gleichermaßen überzeugt.

Um die Digitalisierung der Schulen voranzutreiben, hat die Bundesregierung ein Förderprogramm initiiert: Im Rahmen des „DigitalPakt Schule“ stellen Bund und Länder insgesamt fünfeinhalb Milliarden Euro zur Verfügung. Durch die Corona-Krise kommt sogar noch eine weitere Milliarde hinzu. Bis die Investitionen aber in den Schulen angekommen sind, bleibt der Unterricht weiterhin überwiegend analog. Dafür gibt es außerhalb der Klassenzimmer viele Einrichtungen, die Kindern digitale Medienbildung ermöglichen. Eine davon ist die Hacker School in Hamburg unter der Leitung von Dr. Julia Freudenberg, in der Heranwachsende einen ersten Einblick in die Welt des Programmierens bekommen.
Julia, wie begeistert man Kinder fürs Programmieren?
Ich schätze unser Bildungssystem, aber von "Ich will in die Schule" zu "Ich muss in die Schule" dauert es nur ein Jahr. Deshalb zeigen wir den Kindern gar nicht, dass sie etwas lernen sollen, sondern lassen sie spielerisch neue Welten entdecken. Davor kann sich kein Kind verschließen: Wir vermitteln auf altersgerechtem Niveau mit passenden Programmiersprachen wie etwa Scratch, was hinter einer Logikprüfung, Variablen und Schleifen steckt, warum man das braucht und was man damit erreichen kann. Im Vordergrund steht, gemeinsam Spaß zu haben – und das ist eine tolle intrinsische Motivation.

Kannst du kurz erklären, was sich hinter der Hacker School verbirgt?
Die Hacker School ist ein gemeinnütziger Verein, der Kinder und Jugendliche fürs Programmieren begeistern möchte. Uns geht es darum, Brücken zwischen dem ehrenamtlichen Engagement von Unternehmen und IT-Fachkräften hin zum Bildungshunger der Kinder zu bauen. Denn sie wissen spätestens seit Corona, wie wichtig digitale Fähigkeiten sind. Die IT-Kräfte freuen sich wiederum, junge Menschen für ihre Leidenschaft zu begeistern.
Über den Verein organisieren wir Wochenendveranstaltungen: Zehn Kinder und zwei IT-Fachkräfte machen an zwei aufeinanderfolgenden Tagen jeweils vier Stunden lang geilen Scheiß – sorry, ich habe dafür noch kein besseres Wort dafür gefunden! Schließlich geht es nicht darum, Wissen zu vermitteln, sondern viel mehr um die 21st Century Skills. Unser Ziel: über Kreativität, Kommunikation, Zusammenarbeit kritisches Denken fördern.
Das ist die Hacker School
Die Hacker School gibt es seit 2014, mittlerweile arbeitet ein zehnköpfiges Team hauptamtlich daran, digitale Bildung für Kinder voranzubringen. Die Zentrale sitzt in Hamburg, der Verein war aber bereits vor der Corona-Krise in 40 Städten deutschlandweit aktiv. Aufgrund der Pandemie finden die Kurse aktuell überwiegend online statt. Das Angebot richtet sich an Kinder und Jugendliche von 11 bis 18 Jahren. Dr. Julia Freudenberg hat sich ein ehrgeiziges Ziel gesetzt: In spätestens fünf Jahren soll die Hacker School in mindestens 600 deutschen Städten mit mehr als 20.000 Einwohnern aktiv sein und damit 100.000 Kinder pro Jahr erreichen.
Wie funktioniert die Zusammenarbeit mit den Firmen?
Vor Corona haben die Firmen ihre Räumlichkeiten zur Verfügung gestellt. So bringen wir die Kinder an Orte, die später mal ihr Arbeitsplatz sein könnten und wo sie sich ohne schulische Zwänge und Pflichten ausprobieren können. Außerdem stellen die Unternehmen den Kontakt zu ihren IT-Mitarbeitenden her – den sogenannten Inspirern. Aktuell unterstützen uns rund 500 Inspirer aus ganz Deutschland, aber das dürften gern noch mehr werden. Wir arbeiten aus Überzeugung mit IT-Fachkräften aus der Wirtschaft zusammen: Denn wer könnte besser fürs Programmieren begeistern als diejenigen, die ihre Leidenschaft zum Beruf gemacht haben?

Wie können sich Kinder weiter mit dem Thema beschäftigen, wenn der Funke übergesprungen ist?
Wir bieten viele unterschiedliche Themen, wie etwa Spielentwicklung, Programmieren in Minecraft oder Künstliche Intelligenz mit Talking Emojis, die den Kindern Einblick in verschiedene Programmiersprachen geben. Die Themen bauen zwar nicht aufeinander auf, schärfen aber alle das algorithmische Denken. Außerdem ist die Kursteilnahme fast ausnahmslos ohne Vorkenntnisse möglich, sodass die Kinder alles einmal ausprobieren können.
Wir zeigen auch weitere Optionen wie Events und Hackathons von „Code+Design“ oder „Jugend hackt“, wo das Niveau deutlich anspruchsvoller ist. Manche Kinder sind auch so begeistert, dass sie als „Junior Inspirer“ zu uns zurückkehren: Die teilnehmenden Kids motiviert das natürlich zusätzlich, wenn sie von Gleichaltrigen etwa bei einem Python-Kurs unterstützt werden.
Arbeitet ihr auch mit Schulklassen?
Wir haben sogar mal mit einer ganzen Schule programmiert. Vor allem von den Kindern, die sich vermutlich nicht freiwillig angemeldet hätten, gab es begeistertes Feedback. Momentan entwickeln wir die TEACHERS Hacker School, wo wir mit den Lehrenden arbeiten. Wir prüfen, ob wir Schulklassen oder sogar Jahrgangsstufen durch den Remote-Ansatz bedienen können. Für uns wäre es ein Meilenstein, wenn wir durch solche Projekte wirklich jedes Kind erreichen könnten, statt auf die kindliche Neugier und eine freiwillige Anmeldung zu hoffen.
Wer könnte besser fürs Programmieren begeistern als diejenigen, die ihre Leidenschaft zum Beruf gemacht haben?
Dr. Julia Freudenberg, Geschäftsführerin der Hacker School
Wie gut vermitteln Schulen bislang digitale Kompetenzen?
Auf diese Frage eine rundheraus positive Antwort zu geben, ist schwierig. Ich sehe insofern ein strukturelles Problem, da IT-Fachkräfte derzeit keinen Anlass haben, in Schulen zu arbeiten. Dementsprechend liegt beispielsweise die Bedarfsdeckungsquote an IT-Lehrenden in Nordrhein-Westfalen bei 25 Prozent und geringer. In diesem Bereich mangelt es massiv an Lehrpersonal. Doch IT ist eine Querschnittswissenschaft und setzt bei den Lehrkräften ein grundlegendes Verständnis voraus. Für sie ist es ein großer Aufwand, in einen fachfremden Bereich tätig zu sein und die Medienbildung mitzudenken. Deshalb: Wenn sie schon in dieser Disziplin unterrichten müssen, wollen wir sie mit der TEACHERS Hacker School zumindest für das Thema begeistern und ihnen die Unsicherheiten nehmen. Dabei gewinnen alle.

In wie vielen Schulen steht Programmieren denn bereits auf dem Stundenplan?
Laut dem Handelsblatt führt Niedersachsen als erst sechstes Bundesland IT verpflichtend ab 2023/24 mit einer Stunde pro Woche in der zehnten Klasse ein, falls ausreichend Lehrende verfügbar sind. Das ist dramatisch. Nach meinem Kenntnisstand gibt es bislang kein Bundesland, das übergreifend über Jahrgangs- und Schulform IT als Pflichtfach anbietet. Hamburg hat zum Beispiel in der siebten Klasse für ein Halbjahr eine Stunde für Medienkunde. Ein Anfang, aber bei weitem nicht ausreichend. Außerdem finde ich es wichtig, IT als Querschnittswissenschaft zu begreifen. Lehrkräfte sollten also hinterfragen, wie sie die Digitalisierung in den gängigen Unterrichtsfächern aufgreifen können – auch hier ist noch ein langer Weg zu gehen.

Wie wichtig ist es, sich mit Programmiersprachen und digitalen Zusammenhängen auszukennen?
Jeder sollte sich mal mit einer Programmiersprache beschäftigt haben, auch wenn ich nicht glaube, dass jeder junge Mensch gleich Informatiker werden muss. Trotzdem bin ich davon überzeugt, dass man ein Grundverständnis von IT braucht, wenn man die digitale DNA dieser Welt verstehen will. Ohne das Wissen um diese Zusammenhänge bezweifle ich, dass man künftig kompetente, mündige Entscheidungen treffen kann.
Neugierig geworden?
Du möchtest die Hacker School als Inspirer oder mit einer Spende unterstützen? Dann schau auf der Homepage der Hacker School vorbei. Dort findest du auch alle Kurse und weitere Projekte.