Du möchtest im Job genau das tun, was du wirklich willst? Dann bist du bereit für New Work: Der austro-amerikanische Arbeitsphilosoph Frithjof Bergmann hat diesen Wunsch in den 1980er-Jahren als ein zentrales Ziel seiner Sozialutopie „New Work“ definiert. Ja, tatsächlich, so lange gibt es das Buzzword schon, das aktuell in aller Munde ist. Es steht für das Aufbrechen von gewohnten Regeln in der Arbeitswelt. Für weniger Ego-Karrierismus und Silo-Denken in Unternehmen – und für mehr Motivation, Wir-Gefühl und Innovation. Kein Wunder also, dass New Work unter vielen Firmen längst als wichtiger Treiber für den wirtschaftlichen Erfolg gilt.
Spätestens seit Corona wissen wir: Die Digitalisierung revolutioniert die Arbeitswelt – und macht vieles möglich, wie zum Beispiel Homeoffice. New-Work-Projekte hätten während der Pandemie ihre Effizienz bewiesen – für Konsument*innen, Mitarbeiter*innen und Unternehmer*innen, sagt Trendforscher und New-Work-Experte Peter Wippermann. Seine Prognose: „New Work wird im Next Normal zum Standard.“ Ob Remote Work, der Abschied von der 40-Stunden-Woche oder Work-Life-Blending – viele Trends des New Work zeichnen sich ab und machen Lust auf den Wandel. Wir stellen dir die wichtigsten Entwicklungen vor.

1. Arbeiten? Klappt überall
Digitale Nomad*innen, die an Sehnsuchtsorten rund um den Globus arbeiten: Wer (noch) nicht dazugehört, hat vielleicht spätestens in der Corona-Pandemie die Vor- und Nachteile des mobilen Arbeitens kennengelernt. Laut einer Bitkom-Umfragearbeitet derzeit die Hälfte aller Erwerbstätigen in Deutschland vollständig oder teilweise im Homeoffice. Neun von zehn Erwerbstätigen (88 Prozent) möchte dies nach der Pandemie zumindest teilweise beibehalten.
Wer jetzt denkt, das gute alte Büro habe ausgedient, liegt jedoch falsch: 90 Prozent der Arbeitnehmer*innen schätzen ihre Arbeitszufriedenheit im Büro als hoch ein. Das Zukunftsinstitutum Zukunftsforscher Matthias Horx prognostiziert, dass sich die Anforderungen an Büroräume allerdings wandeln werden: Sie werden vom Ort der Arbeit zur „Kulturmeile des Unternehmens“ – wo Kollaboration und Co-Creation physisch stattfinden und das Wir-Gefühl wächst. Pioniere wie das US-amerikanische Software-Unternehmen GitLab, das ganz ohne Firmenbüros auskommt und nach eigenen Angaben die größte Remote Company der Welt ist, werden vorerst wohl die Ausnahme bleiben.
Durchsetzen werden sich dagegen Bürokonzepte wie Activity Based Working (ABW), prognostiziert Melanie Büche, Change Managerin bei Atruvia: „ABW wird eine wichtige Rolle spielen, weil wir alle unterschiedlich sind – nicht nur unsere Persönlichkeit, sondern auch unsere Art von Arbeit und wie wir diese am besten erledigen können.“ ABW biete dafür die perfekte Grundlage: Unterschiedliche Raummodule, die für Einzelarbeit, vertrauliche Gespräche oder große Kreativsessions genutzt werden. Dazu mobile Möbel, ausgestattet mit der neuesten Technik, und Desk Sharing für die optimale Zusammenarbeit – egal, welchem Service- und Geschäftsbereich die Mitarbeitenden angehören. Büche: „Bei Atruvia legen wir den Fokus auf den Menschen und seine Arbeit. ABW hilft uns dabei.“

2. Hybride Arbeitsmodelle – da kommt noch was
Mal im Business-Outfit ins Büro, mal „casual“ vor dem Rechner im Homeoffice – so wünschen sich New Worker die Zukunft. Die gute Nachricht: Viele Unternehmen in Deutschland wollen ihrer Belegschaft auch nach der Pandemie hybride Arbeitsmodelle anbieten. Laut einer Studie des Mannheimer Wirtschaftsforschungsinstituts ZEW plant fast jedes zweite Unternehmen der Informationswirtschaft, dass ein Teil der Beschäftigen künftig ein bis zwei Tage im Homeoffice arbeiten kann. 37 Prozent der Unternehmen sieht sogar drei Tage Heimarbeit vor. In der Industrie will jedes dritte Unternehmen einem Teil der Mitarbeitenden einen Tag Homeoffice pro Woche ermöglichen.
Vor allem bei großen Unternehmen ist Homeoffice im Aufwind, zeigt die Studie: Der Anteil großer Unternehmen im Verarbeitenden Gewerbe, deren Mitarbeitende hybride Arbeitsmodelle nutzen, betrug acht Prozent vor der Pandemie – und wird nach der Pandemie auf voraussichtlich 32 Prozent anwachsen. Bei großen Firmen der Informationswirtschaft dürfte diese Zahl sogar von 24 auf 70 Prozent steigen. Umso verwunderlicher ist in diesem Kontext Elon Musks jüngste Ankündigung: Der Tesla-Boss beorderte im Juni die gesamte Belegschaft des Konzerns zurück ins Büro. Und wirkt mit dieser Forderung ganz schön von gestern. Moderne Führung geht anders.

3. Die Sinnfrage wird zentral – auch im Job
Hast du dir schon mal die Frage gestellt, welchen Sinn – oder auch: Purpose – deine Arbeit hat, abgesehen vom Geldverdienen? Falls ja, bist du in guter Gesellschaft. Denn immer mehr Arbeitnehmer*innen grübeln über die Sinnhaftigkeit ihres Jobs nach – nicht zuletzt in der Corona-Zeit, als Berufsgruppen nach „systemrelevant/nicht systemrelevant“ eingestuft wurden. Der Philosoph Richard David Precht bringt es auf der Konferenz „New Work Experience 2022“ auf den Punkt: „Wir bewegen uns weg von einer Arbeitsgesellschaft hin zu einer Sinngesellschaft.“
Der niederländische New-Work-Vordenker und Historiker Rutger Bregman formuliert es radikaler: „Wir müssen den Begriff der Arbeit und von Wert und Nutzen hinterfragen und uns vor Augen führen, wer für die Gesellschaft wirklich wichtig ist.“ In seinem Buch „Utopien für Realisten“ veranschaulicht er seine These anhand eines Streiks irischer Banker (1970) – die nach einem halben Jahr ohne große gesellschaftliche Aufmerksamkeit wieder an ihre Arbeit gingen, während zwei Jahre zuvor der Streik von Müllmännern einen Notstand auslöste.
Natürlich gibt es viele andere Gründe, seinen Job als sinnvoll zu empfinden – zum Beispiel, weil er Spaß macht oder die Verwirklichung von Wünschen ermöglicht. Doch jede*r Vierte (26 Prozent) vermisst Sinnhaftigkeit im Beruf – und denkt deswegen über einen neuen Job nach, so eine forsa-Umfrage im Auftrag von XING E-Recruiting. Höchste Zeit also für Unternehmen, Purpose als Motivator zu nutzen. Nach dem Motto: Wer einen Sinn in seiner Arbeit sieht und verfolgt, ist motivierter bei der Sache und damit leistungsbereiter.

4. Selbstorganisation und agiles Arbeiten als New-Work-Mantras
Wie groß der Handlungsdruck der Wirtschaft ist, die Bedürfnisse ihrer Mitarbeitenden ernst zu nehmen, belegen auch die Zahlen der Europäischen Zentralbank (EZB): Trotz Milliardeninvestitionen in neue Technologien nahm die Arbeitsproduktivität in Europa in den letzten 20 Jahren jährlich nur um 0,6 Prozent zu. Das Fazit der Wirtschaftswissenschaftler*innen: Da sich mithilfe technischer Lösungen offenbar die Effizienz von Unternehmen kaum steigern lässt, müssen sich Firmen mehr auf die Zufriedenheit ihrer Mitarbeitenden fokussieren. Denn glückliche Angestellte sind eindeutig produktiver – so eine Oxford-Studie.
Das bedeutet für HR-Verantwortliche: Umdenken ist angesagt. Weil sich die Generation Y – die in den 80er- und 90er-Jahren Geborenen – und die nachfolgende Generation Z schon lange nicht mehr mit Dienstwagen, Obstkorb und Co. ködern lassen. Stattdessen wächst der Wunsch nach Purpose – und nach flachen Hierarchien, Selbstorganisation und Selbstverwirklichung. Bewerber*innen legen laut einer Studie des Recruiting-Unternehmens Softgarden seit Corona nicht nur Wert auf Sinn (38 Prozent), sondern auch auf Führungskräfte als „Möglichmacher statt Bestimmer“ (34 Prozent) sowie auf größere Eigenverantwortung (22 Prozent).
Ein agiles, also menschenzentriertes Mindset mit gegenseitigem Vertrauen, wertschätzendem Umgang und flachen Hierarchien (Holokratie) wird somit zum Trumpf für Unternehmen – und sticht starre Bürokratie und Machtstrukturen. Agile Methoden, die bereits in vielen Unternehmen eingesetzt werden, sind beispielsweise Design Thinking und SCRUM. Auch eine besondere Art der Zusammenarbeit ist bei New Workern im Kommen: die Coopetition. Dabei kooperieren eigentliche Wettbewerber für einen begrenzten Zeitraum – so wie aktuell viele große Banken und digitale Fintech-Unternehmen, die gemeinsam moderne und benutzerfreundliche Finanz-Services entwickeln.

5. Teilzeit ist das neue Vollzeit
Ja, natürlich gibt es sie noch: die 40-Stunden-Woche. 2021 nahm die Zahl der Vollzeitbeschäftigen sogar nach Angaben von Statistagegenüber dem Vorjahr um 0,45 Prozent zu. Doch der Wunsch, die Arbeitszeit zu reduzieren, ist besonders bei Männern groß: Jeder Zweite will weniger arbeiten – und 41 Prozent der Frauen. Das ergab eine Umfrage der Bertelsmann-Stiftung.
New-Work-Ansätze, wie sich dieser Wunsch umsetzen ließe, gibt es viele. Zum Beispiel die Vier-Tage-Woche, zu der aktuell in Großbritannien das größte Pilotprojekt der Welt läuft. Die Theorie: Arbeitnehmer*innen arbeiten weniger, dafür aber so produktiv wie an fünf Tagen – und zwar bei gleichem Gehalt. Wissenschaftlich bewiesen ist dieser Effekt bisher noch nicht. Was eine Studie von Vouchercloud.com dagegen belegt: Die Mehrheit der Arbeitnehmer*innen kann an einem Acht-Stunden-Tag effektiv nur zwei Stunden und 53 Minuten arbeiten. Sich acht Stunden lang voll zu konzentrieren, ist damit offenbar unmöglich – und ein Argument für kürzere Arbeitstage.
Dass auch das 40-Stunden-Modell Zukunft hat, leben die skandinavischen Länder vor: In Finnland, Norwegen und Schweden werden Wochenarbeitsstunden als flexibles Kontingent verstanden. Jede*r Arbeitnehmer*in wählt genau die Arbeitszeiten, die perfekt zu seiner individuellen Situation und aktuellen Lebensphase passt. Ein echter Push-Faktor für das ...

6. ... Work-Life-Blending – Fluch oder Segen?
Flexible Arbeitszeiten – die neue Freiheit für Arbeitnehmer*innen? Nicht unbedingt. Denn die Trennung von Job und Privatleben wird nicht einfacher, wenn Arbeitszeit fließt. Das hat nicht zuletzt die Corona-Pandemie gezeigt. Ein Begriff, der künftig die viel beschworene Work-Life-Balance ablösen wird: Work-Life-Blending – Privat- und Berufsleben vermischen ist. Mal eben die Präsentation im Urlaub finalisieren. Am Wochenende das nächste Meeting festzurren. Oder im Feierabend Mails checken. Was die einen entlastet, stresst die anderen – und sorgt für Diskussionen in Unternehmen.
Dass sich die Trennung von Arbeit und Privatem immer mehr lockere, liege an den vier Faktoren Globalisierung, Digitalisierung, Subjektivierung und Emanzipation, erklärt der Psychologe Markus Väth in seinem Buch„Zeit, Arbeit neu zu denken. Zeit für New Work!“. Er fordert einen „inneren Kompass“ und geistige Klarheit, um die neue Freiheit wirklich auskosten zu können: „Wo institutionelle, organisatorische und kommunikative Grenzen fallen, muss der Mensch die Verantwortung für seine Gesundheit, seine psychische Dynamik und seine Balance übernehmen. Dieser Gewinn an persönlicher Freiheit muss Hand in Hand gehen mit der Fertigkeit der Selbstorganisation, der Entscheidungsfähigkeit und einem soliden Alltagsmanagement.“
Viel zu tun also, damit New Work wirklich zur schönen neuen Arbeitswelt wird. Aber die Aussichten scheinen vielversprechend.