Wer auf den Karriereseiten deutscher Unternehmen nach Schlagworten wie „agiles Arbeiten“, „flache Hierarchien“ oder „Unternehmenskultur“ sucht, wird in der Regel schnell fündig. Immerhin gilt „New Work“ als Allzweckwaffe im Rennen um junge und kreative Talente. Doch was in der Stellenbeschreibung vielversprechend klingen mag, entpuppt sich in der Realität häufig als ein lärmendes Großraumbüro mit bunten Post-Its, Whiteboards, gratis Kaffee und einer Schale voll Obst: Bloße Symbolik, statt echter Mitbestimmung und Fairness, worum es bei New Work doch eigentlich geht.
Wer New Work will, muss New Pay zahlen
Nach Ansicht von Sven Franke, Stefanie Hornung und Nadine Nobile gibt es dafür einen entscheidenden Grund: Traditionelle Gehaltsstrukturen. In ihrem Buch „New Pay - Alternative Arbeits- und Entlohnungsmodelle“ haben sie sich dem Thema deshalb einmal ausführlich gewidmet und parallel dazu noch einen Blog gestartet, der unter Fachleuten viel Beachtung fand: „Wie sehr wir dabei den Nerv der Zeit getroffen haben, zeigte sich schnell. Innerhalb von sechs Wochen steuerten 50 Autorinnen und Autoren über 55 Beiträge bei“, erinnert sich Sven Franke in einem Interview mit dem Magazin Workpath. Ihre gemeinsame Position: Führungszuschläge, Individualboni und Gehaltsintransparenz ergeben in einer Arbeitswelt mit interdisziplinären Teams, flachen Hierarchien und flexibler Arbeitsteilung wenig Sinn. Doch genau das ist in vielen Unternehmen noch immer der Fall.

So verdienen Führungskräfte in Deutschland (74.744 Euro) im Schnitt rund 24.000 Euro mehr als Arbeitnehmende ohne Personalverantwortung (50.317 Euro), wie der Stepstone Gehaltsreport von 2020 zeigt (bezieht sich ausschließlich auf Vollzeitbeschäftigungen). Gleichzeitig sprechen sich laut aktueller Xing-Umfrage über 80 Prozent der Arbeitnehmenden für mehr Gehaltstransparenz innerhalb der eigenen Organisation aus. In Unternehmen, für die beides gilt, dürften es ernstgemeinte New-Work-Konzepte schwer haben. Dabei scheinen Arbeitnehmende durchaus Sympathien für die Anliegen von New Pay zu haben, wie die Xing-Umfrage nahelegt: 72 Prozent der rund 17.000 Teilnehmenden würden gerne über ihr eignes Gehalt mitentscheiden, etwa 50 Prozent auch über das ihrer Kolleginnen und Kollegen. Für eine feste Gehaltsobergrenze sind etwa zwei Drittel der Befragten. Zahlen, die deutlich zeigen, dass es einen ausgeprägten Wunsch nach Veränderung gibt.
Doch in vielen deutschen Unternehmen entscheiden noch immer die klassischen Gehaltskriterien über die Höhe der Bezahlung: Formelle Qualifikation, Erfahrung, Betriebszugehörigkeit und Verantwortung. Zur Entlohnung junger Talente aus der Kreativ- oder IT-Branche, wo New-Work-Modelle häufig zum Einsatz kommen, passen sie kaum. Unternehmen, die es mit der neuen Arbeitswelt erst meinen, sollten deshalb nicht davor zurückschrecken, mit den alten Gehaltssystemen zu brechen.

Die neue Gehalts-fair-teilung
Zuvor gilt es allerdings, sich genau zu überlegen, aus welchem Grund: Einfach nur mit New Pay zu beginnen, weil es gerade Trend ist, ist in den Augen der drei Autoren zumindest keine gute Idee. Denn für alternative Gehaltsmodelle gebe es keine Blaupause. Vielmehr müsse jedes Unternehmen selber herausfinden, welcher Weg für die eigene Kultur und Mitarbeitenden der richtige ist.
Dabei gehe es im Kern vor allem um eins: „Der Schlüsselbegriff für ein gelingendes Vergütungsmodell in einer Organisation lautet Fairness. Für den einzelnen Mitarbeitenden muss sich die Vergütung fair anfühlen“, sagt Sven Franke. Fairness sei ein Wert, der sich nicht von einer einzelnen Führungsperson oder der Personalabteilung festlegen lässt. Im Gegenteil: Damit ein Gehaltssystem als fair akzeptiert wird, müssten sich alle Mitarbeitenden gemeinsam darauf einigen können.
Ist das schon Gehaltssozialismus?
Und das ist mitunter ein schwieriger Prozess, wie das Beispiel von Bosch zeigt. Der Stuttgarter Konzern probierte es mit einem demokratischen Ansatz, bei dem 18 Mitarbeitende aus dem Personalwesen gemeinsam über Gehaltszuschüsse und nichtmonetäre Extras der anderen Gruppenmitglieder verhandeln sollten. Doch anders als gedacht, taten sich die Mitarbeitenden mit der gegenseitigen Beurteilung schwer. Immer höhere Reibungsverluste waren das Ergebnis. Für einen Zuwachs an Akzeptanz konnte die neue Eigenverantwortung dagegen nicht sorgen. Der Fall zeigt, dass aus einer neu gewonnen Freiheit auch schnell eine unliebsame Last werden kann.

Anders verhält es sich bei dem 2017 gestarteten Wahlmodell der Deutschen Bahn. Hier durften mehr als 170.000 Mitarbeitende selber bestimmen, ob sie ihre Tariferhöhungen in Form von mehr Gehalt, mehr Urlaubstagen oder weniger Wochenarbeitsstunden erhalten wollen. Ein Großprojekt, das sich durch Mitbestimmung und Flexibilität auszeichnet, wenn auch im etwas kleineren Rahmen.
Gewagter ist dagegen der Ansatz der Offenbacher Kommunikationsagentur CPP Studios. Ihr Geschäftsführer Gernot Pflüger entschied sich zu einem radikalen Schritt: Keine Hierarchien, keine festen Arbeitszeiten, keine Boni. Stattdessen: Gleicher Lohn für alle. Einzig der Geschäftsführer selbst bekommt für sein Haftungsrisiko eine Entschädigung auf sein Gehalt gezahlt. Laut Pflüger trage das Konzept Früchte, jüngere Mitarbeitende würden mehr Mitspracherecht erhalten, das Unternehmen laufe seit 25 Jahren erfolgreich. Zwischenzeitlich habe man auch mal einen Stufenlohn ausprobiert, doch der wurde von den 22 Mitarbeitenden schnell wieder abgewählt.
Einen wiederum anderen Ansatz verfolgt man bei Sipgate. Das IT-Unternehmen aus Düsseldorf mit etwa 200 Mitarbeitenden beschreibt sich selbst als „lean und agil“. Seit 2016 werden Gehälter hier nach einer einfachen Formel berechnet, in die für alle die gleichen objektiven Kriterien einfließen. Dazu gehört ein Basisgehalt, das sich am marktüblichen Durchschnitt orientiert, plus prozentuale Aufschläge für die Erfahrung und die Dauer der Betriebszugehörigkeit („Loyalität“). Das Besondere: Als Erfahrung wird nur die Arbeitszeit gewertet, die auch in der jeweiligen Rolle gearbeitet wurde. Ausbildung, Studium oder fachfremde Jobs gehören nicht dazu. Darüber hinaus ist der Aufschlag für Loyalität mit 1,6 Prozent relativ gering und nimmt im Laufe der Zeit ab. Durch diese transparenten Aufschläge steigt das Gehalt jedes Jahr automatisch an, was laut Sipgate-Gründer Tim Mois dazu führt, dass Mitarbeitende für Gehaltssprünge nicht ständig in einen neuen Job wechseln müssen.

Alles im Fluss, auch beim Gehalt
Dass eine solche Vielfalt möglich ist, liegt auch daran, dass es für alternative Gehaltsmodelle nur wenige arbeitsrechtliche Einschränkungen gibt. Laut den Autoren sind hier vor allem zwei Grundsätze für die Rechtsprechung entscheidend: Transparenz und Konsistenz im Vorgehen. Bei tariflich gebundenen Arbeitnehmenden, die in Deutschland rund 46 Prozent ausmachen, würden weitere Hürden hinzukommen. Doch im nicht-tarifgebundenen Bereich sei im Rahmen dieser beiden Prinzipien vieles möglich.
Geht es nach dem Autorenteam der New Pay-Bewegung sollten Unternehmen von diesen Freiheitsräumen häufiger Gebrauch machen. Das perfekte Gehaltssystem, das man für alle Zeiten beibehalten kann, ist zumindest nach ihrer Auffassung eine Illusion. Denn wo sich die äußeren Bedingungen und das eigene Unternehmen permanent ändern, sollten auch die Gehaltssysteme dazu in der Lage sein. Ein Gedanke, den sie mit der Formulierung „Permanent Beta“ zum Ausdruck bringen. Gemeint ist damit, dass Gehaltssysteme nie ganz fertig sind und sich wie Apps oder Webseiten ständig im Wandel befinden.