Doch beginnen wir am Anfang: Neal Stephenson veröffentlicht 1992 seinen Roman Snow Crash, in dem er eine digitale Welt beschreibt – das „Metaverse“. Während die reale Welt einer Dystopie gleicht, in der staatliche Organe privatisiert sind, Hyperinflation und eine extreme gesellschaftliche Ungerechtigkeit herrscht, bietet Stephensons „Metaverse“ einen Zufluchtsort: Nutzer*innen können diesen mithilfe von VR-Brillen oder öffentlichen Terminals betreten, sich vor Ort mit ihren persönlichen „Avataren“ bewegen und mit anderen interagieren. Damals war das reine Science-Fiction – und klang vielleicht auch ein bisschen verrückt. Immerhin launchte Microsoft zu diesem Zeitpunkt gerade einmal Windows 3.1. und vom World Wide Web hatte auch noch niemand gehört. Doch nun, 30 Jahre später, ist dieses digitale Universum, das Metaverse, Realität geworden. Zwar bewegen sich Nutzer*innen dort aktuell noch mit Maus und Pfeiltaste vorwärts, in naher Zukunft soll sich das aber ändern: „Im September möchte Apple seine erste AR-Brille launchen – das wäre eine ziemlich große Sache. Denkt man allein an 2007, als das Unternehmen sein erstes Smartphone auf den Markt gebracht und diesen nachhaltig verändert hat“, verrät Sandro Megerle, Senior Trend Analyst bei TRENDONE.
Von Science-Fiction zur Realität

Dass das Metaverse tatsächlich Realität geworden ist, haben mittlerweile auch viele Unternehmen erkannt. „Mit JPMorgan hat beispielsweise bereits die erste Großbank eine Filiale im Decentraland eröffnet“, berichtet Sandro Megerle. In der sogenannten „Onyx-Lounge“ gibt es einen Tiger, der Besucher*innen im Eingangsbereich begrüßt sowie ein digitales Porträt des CEOs Jamie Dimon. Im ersten Stock der virtuellen Filiale kann man Präsentationen zum Thema Kryptowährungen der Führungskräfte von JPMorgan lauschen. Künftig soll aber noch mehr passieren: Bankdienstleistungen wie beispielsweise Kreditverträge soll man hier abschließen können. In einem kürzlich von der Bank veröffentlichten Bericht heißt es dazu: „Die Möglichkeiten, die die interaktive digitale Welt bietet, scheinen grenzenlos. Das Metaversum wird in den kommenden Jahren sehr wahrscheinlich jeden Sektor in irgendeiner Weise erobern. Die Marktchancen liegen dabei schätzungsweise bei mehr als einer Billion US-Dollar Jahresumsatz.“ Nicht schlecht bedenkt man, dass bereits heute 54 Milliarden US-Dollar pro Jahr für virtuelle Waren ausgegeben werden – doppelt so viel, wie für den Kauf von Musik. Megerle erklärt: „Was da passiert – passieren kann, eröffnet ganz neue Möglichkeiten des Storytellings. Nehmen wir mal das banale Beispiel Kontoauszüge: Ob analog oder digital, besonders ansprechend sehen sie nicht aus. Im virtuellen Raum können Banken sie aber grafisch, beispielsweise in Form eines Diagrammes viel dynamischer darstellen.“ Microsoft denkt hierbei sogar noch größer: Der Softwarekonzern hat seinen Nachhaltigkeitsbericht im vergangenen Jahr als Minecraft-Level veröffentlicht, und eben nicht, wie das sonst so üblich ist, „als eingestaubtes Buch oder PDF mit 200 Seiten.“
Banking im Metaverse sehe ich schon in den nächsten zwei Jahren
Sandro Megerle, Senior Trend Analyst bei TRENDONE

Wird so also das Banking der Zukunft aussehen? Werden Bankgeschäfte, wie Vertragsabschlüsse und Kreditanfragen in den kommenden fünf bis zehn Jahren nur noch im Metaversum erledigt? Vermutlich nicht alle, aber sie könnten sich zunehmend in die virtuelle Welt verlagern, klärt der Senior Trend Analyst auf: „Klar, wenn du auf der einen Seite eine*n alteingesessene*n Handwerker*in hast, der/die über die vergangenen 20 Jahre ein kleines Vermögen für ein Häuschen gespart hat, würde diese*r mit hoher Wahrscheinlichkeit weiterhin in die reelle Bankfiliale gehen, um dort einen Kaufvertrag abzuschließen. Wenn auf der anderen Seite aber ein junger Mensch steht, der vielleicht ein wenig Glück mit Krypto-Anlagen hatte und nun das Geld in eine Eigentumswohnung stecken möchte, dann würde ich schon eher darauf tippen, dass sich dieser auf den Weg ins Metaversum zur Bank seines Vertrauens macht.“ Dass dieses Szenario aber erst um 2027 Wirklichkeit wird, sieht Sandro Megerle nicht – im Gegenteil: „Natürlich ist es schwer, vorherzusagen, wann diese Art des Bankings zur neuen Normalität wird. Aber dass es möglich ist und von einigen Menschen angenommen wird, das sehe ich schon in den nächsten ein bis zwei Jahren.“
Erste Fashion Week im Metaverse

So hat die Mode-Industrie beispielsweise schon vorgemacht, wie ein gelungener Auftritt im Metaversum aussehen kann: Auf der Plattform Decentraland hat Anfang des Jahres die erste viertägige Metaverse Fashion Week stattgefunden. Und diese hatte all das, was die Fashion Weeks in der „normalen Welt“ auch zu bieten haben: Tausende Besucher*innen, namhafte Marken wie Dolce & Gabbana oder Tommy Hilfiger, Showrooms, Vorträge und natürlich berauschende After-Show-Partys. Die Stücke, die auf dem digitalen Laufsteg präsentiert wurden, konnten sogar direkt gekauft und vom eignen Avatar getragen werden. Einige Brands gingen sogar noch einen Schritt weiter und verkauften die Teile parallel auch in der realen Welt. Doch nicht nur die Fashion-Industrie ist auf den Metaverse-Zug aufgesprungen: Auch Samsung hat einen riesigen Flagship Store im Decentraland eröffnet – unter dem futuristischen Namen „837X“. Kund*innen können hier an NFT-Gewinnspielen und künftig wohl auch an Musik-Streaming-Events teilnehmen.
Die Customer Experience wird immer wichtiger

Fashion Shows ansehen, Musik streamen und Banking: Klar, das Metaverse und vor allem die Technik, die den Besuch im digitalen Raum so einfach wie möglich gestalten soll, stecken aktuell noch weitestgehend in den Kinderschuhen. Doch ganz egal, ob Bankfiliale oder Flagship-Store: Wichtig wird hierbei vor allem die Customer Experience der Kund*innen sein. Das geht unter anderem aus dem Ende 2020 erschienenen „State of the Connected Customer“-Report hervor. Hier stimmten 80 Prozent der Kund*innen und Unternehmen zu, dass „das Erlebnis, das ein Unternehmen bietet, genauso wichtig ist wie sein Produkt oder seine Dienstleistungen“. Das heißt: Die Kundenzufriedenheit steht und fällt mit der Customer Experience – je emotionaler das Kundenerlebnis, desto besser. Aus diesem Grund schaffen mittlerweile zahlreiche Unternehmen Touchpoints, an denen ihre Kund*innen in neue Welten eintauchen können. Diese sogenannten immersiven Erlebnisse bestimmen die Kundenbindung – auch wenn sich Interaktionsplattformen und Kundenerwartungen ändern.
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