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Leben

Wie viel Sport steckt im eSport?

Ex-Profi Jona Schmitt berichtet über falsche Begrifflichkeiten, Preisgelder in Millionenhöhe und die Freude am Gewinnen.
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Photo by Alex Haney on Unsplash
09.06.2020

Noch streiten sich Sportbund und Gamer um die Definition, doch der eSport hat seinen Siegeszug längst angetreten. Millionen von Zuschauern verfolgen die virtuellen Turniere, große Unternehmen steigen ins Sponsoring ein. Wir blicken mit dem ehemaligen Profi Jona "Just Johnny" Schmitt hinter die Kulissen eines Milliardenmarktes.

Juli 2018: Die Lanxess-Arena in Köln bebt. Gerade steigt das Halbfinale der ESL One Cologne, einem der größten und bekanntesten Counter-Strike-Events Europas. Die rund 15.000 Zuschauer feiern frenetisch das Team Berlin International Gaming (BIG), denn der Sieg gegen den Top-Favoriten FaZe aus den USA ist zum Greifen nah. Wenn Jona Schmitt sich an diesen Moment zurückerinnert, gerät er ins Schwärmen: „BIG ist als absoluter Außenseiter bei diesem Turnier angetreten" und sei dann später sogar ins Finale eingezogen. „Ich war gar nicht live vor Ort, weil ich parallel selbst auf einem Event war. Deshalb habe ich das Halbfinale zusammen mit meinen Teamkollegen in der Hotellobby via Twitch.tv verfolgt. Ich verbinde mit diesem Event ähnliche Emotionen, wie mit dem 7:1-Sieg der Fußballnationalmannschaft gegen Brasilien. Die Bilder sind einfach die gleichen: Wie auf der Fanmeile haben wir BIG lautstark angefeuert und sind uns anschließend alle in die Arme gefallen.“ Wer sich das Aftermovie der ESL One Cologne 2018 ansieht, versteht, warum Jona Schmitt die Parallelen zum Fußball zieht.

2020 06 FINT Artikel Hoch Gaming 02 Jona Schmitt Photo by Jona Schmitt

Schmitt ist eines der deutschen Gesichter des eSport: Zunächst spielt er selbst in der höchsten deutschen Liga des Computerspiels League of Legends (LoL) und wurde sogar zusammen mit seinem Team Vize-Meister. Mittlerweile arbeitet er als Streamer, Moderator und Kommentator – als Caster, wie es im eSport heißt – im Fernsehen bei ran eSports auf ProSieben MAXX und bringt mit seinen Analysen die Welt des eSport einem breiten Publikum näher. Außerdem betreibt „Just Johnny“ einen eigenen YouTube-Kanal, wo er Highlights seiner Casts zeigt und lehrreiche Videos über League of Legends teilt.

Alles eine Frage der Definition

Im Fanverhalten werden erste Parallelen zum regulären Sport offensichtlich. Doch reicht das, um eSport als "richtigen" Sport anzuerkennen? Noch ist die Diskussion darüber in vollem Gange: Erst im vergangenen August hat der Deutsche Olympische Sportbund (DOSB) ein Rechtsgutachten veröffentlicht, das zu dem Schluss kommt, die Gegensätze zwischen Sport und eSport seien unüberbrückbar. Sport wird in dem Schriftstück untrennbar mit Anforderungen an die Körperlichkeit verbunden, diese wiederum sei bei Spielen an der Konsole und am PC nicht in gleichem Maße vorhanden.

Kritiker führen als Gegenargument an, dass andere Sportarten wie Sportschießen, Tischfußball oder Darts vom DOSB durchaus anerkannt werden, obgleich auch hier nicht der Umfang der körperlichen Betätigung entscheidend sei, sondern die Präzision der Bewegung. Für den Präsidenten des eSport-Bundes Deutschland, Hans Jagnow, darf eSport daher nicht anders beurteilt werden. Hinsichtlich der Definition stimmt Jona Schmitt dagegen mit dem DOSB überein: „Ich bin mit dem klassischen Sport groß geworden, habe zum Beispiel Handball gespielt, und der Effekt ist einfach nicht derselbe. Unter dem Aspekt der Körperlichkeit ist eSport nicht als Sport anzusehen, auch wenn mittlerweile belegt ist, dass ein eSportler in den Kernzeiten einen vergleichbaren Puls und eine ähnliche mentale Beanspruchung hat wie Sportler in anderen Sportarten.“ Die meisten Vereine achteten deshalb darauf, dass ihre Spieler einen körperlichen Ausgleich hätten, fit seien und sich gesund ernährten.

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Tatsächlich geht es bei der Debatte um eSport weniger um eine adäquate Begriffsdefinition als um eine politische, soziale und finanzielle Förderung, konkret um die Anerkennung von eSport als Ehrenamt und die damit verbundenen Vereinsstrukturen. Das DOSB hat sich in seiner Positionierung deshalb vor allem mit der Frage beschäftigt, ob eSport in seiner Gesamtheit unter das Dach des organisierten Sports passe. Das Fazit: Lediglich virtuelle Sportarten, wie das Fußballcomputerspiel Fifa, sind anschlussfähig an Sportvereine und -verbände. Andere PC-Spiele wie League of Legends, Counter-Strike oder Fortnite summiert der DOSB unter dem Begriff eGaming, die als sportfern eingeordnet werden.

Jona Schmitt glaubt, dass die Diskussion deshalb so heiß geführt wird, weil der eSport seiner gesellschaftlichen Verantwortung gerecht werden wolle, das jedoch nur über das Ehrenamt könne. „In einer Welt, in der das Ehrenamt im eSport existiert, können Eltern ihre Kinder in einem Verein anmelden und sie dort im Team eSport ausüben lassen. Statt allein vor dem PC zu sitzen und anonym im Internet zu spielen, trifft man im Verein auf andere Gamer und zockt je nach Spiel zum Beispiel in Fünfergruppen zusammen“, führt er aus. Neben den Teamkollegen bieten die Vereinsstrukturen einen weiteren entscheidenden Vorteil: den Trainer. Als Verbindungsstück zu den Eltern, die nur wenig mit dem eSport zu tun haben, könne er bei Konflikten helfen und Lösungen vermitteln. Zudem könne er die Kinder fördern und ihnen Gefahren aufzeigen oder aber die Eltern informieren, wenn das Kind in eine Sucht abgleite. „Das Ehrenamt ist so viel wie der Schlüssel zur gesellschaftlichen Verantwortung des eSport“, konstatiert Schmitt.

Das virtuelle Milliardengeschäft

eSport hat das Potenzial, die Massen zu begeistern: 2019 haben bereits 13 Millionen Deutsche schon mal ein Match verfolgt, hat Game, der Verband der deutschen Games-Branche, ermittelt. Besonders großes Interesse am digitalen Sport zeigen demnach die 16- bis 24-Jährigen, dort sehen sich 44 Prozent Übertragungen an. Auch international sieht ein Millionenpublikum bei den Turnieren zu: So haben beim Finale der Fortnite-Weltmeisterschaft im vergangenen Sommer über 2,3 Millionen Menschen aus aller Welt allein über YouTube und Twitch.tv mitgefiebert. Das Finale der Weltmeisterschaft von League of Legends im vergangenen Jahr lockte insgesamt 44 Millionen Zuschauer vor die Bildschirme. Das Spektakel wurde in 16 Sprachen und auf mehr als 20 Plattformen übertragen. Auch auf Live-Publikum haben die Events eine große Anziehungskraft: Ob Counter Strike in der Kölner Lanxess-Arena (15.000 Zuschauer, ESL One Cologne), League of Legends in der Accor-Hotels-Arena in Paris (15.000, Worlds 2019) oder Fortnite im Arthur Ashe Stadium in New York (19.000, Fortnite World Cup) – die Hallen sind stets ausverkauft.

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Der eSport wächst rasant und schon jetzt ist von einem milliardenschweren Markt die Rede. Das Beratungsunternehmen PwC prognostiziert, dass sich die Erlöse weltweit bis zum Jahr 2023 auf 1,5 Milliarden Euro ungefähr verdreifachen und in Deutschland auf fast 144 Millionen Euro steigen. Der „Digital Trend Outlook 2019: Esport“ von PwC gibt an, dass mit eSport 2018 weltweit 667 Millionen Euro umgesetzt wurden. Deutschland rangierte im internationalen Vergleich bei den Umsätzen mit 62,5 Millionen Euro auf dem vierten Rang und war in Europa sogar Marktführer. Von 2017 auf 2018 wuchs der deutsche Markt um 22 Prozent.

Solche Zahlen locken Investoren an: Während Bundesliga-Vereine wie Schalke 04 eigene eSport-Teams aufbauen, nutzen Unternehmen den eSport als Werbeplattform. So hat BMW jüngst verkündet, fünf internationale Top-Teams zu sponsern und sich langfristig mit verschiedenen Kampagnen als Werbepartner positionieren zu wollen. Auch das Fußballmagazin „Kicker“ mischt neuerdings beim eSport mit und hat Anteile der Gaming-Plattform „Early Game“ übernommen.

Über Nacht zum Millionär

Das Millionengeschäft zieht sich im eSport sogar bis zu den Preisgeldern durch: 3 Millionen US-Dollar Siegprämie erspielte sich der erst 16-jährige Kyle "Bugha" Giersdorf im Einzelwettbewerb des Fortnite World Cup 2019. Beim FIFA eWorld Cup 2019 erhielt der Sieger immerhin 250.000 US-Dollar, der Zweitplatzierte durfte sich über 100.000 US-Dollar freuen – im Vergleich zum Vorjahr hatte sich die Prämie verdoppelt. Profis finanzieren sich aber nicht allein über Preisgelder, sondern erhalten ein monatliches Mindestgehalt, das der Verein je nach Leistungsniveau noch aufstocken kann. Können zahlt sich also aus: „80.000 Euro Jahresgehalt sind im eSport keine illusorischen Summen“, sagt Schmitt. Zudem können sich Spieler auch privat einen Sponsor suchen. Die Vereine wiederum finanzieren sich sowohl über Einnahmen aus der Zentralvermarktung der Liga als auch über Sponsoring und Merchandising.

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Der Weg ins Profigeschäft unterscheidet sich im Übrigen kaum von der Karriere im klassischen Sport, nur die Konkurrenz ist größer, gibt es doch allein in Deutschland 34 Millionen Gamer. Jona Schmitt hat früher regelmäßig mit seinen Kumpels League of Legends gespielt, bis ihn eines Tages ein Gegner anschrieb. „Er meinte, ich sei viel besser als meine Freunde und lud mich ein, am Training seines Teams teilzunehmen, das in der zweiten Bundesliga aktiv war“, erzählt Schmitt. Er absolvierte ein Testspiel und wurde anschließend in die Gruppe aufgenommen. Auch in der zweiten Bundesliga stach sein Talent hervor, sodass andere Teams aus der ersten Liga auf ihn aufmerksam wurden. „Ich habe drei Angebote bekommen, mich für eines entschieden und war plötzlich Teil der Szene.“ Sein Alltag bestand ab dann aus regelmäßigem Training gemeinsam mit seinen Teamkollegen mehrmals die Woche, um bei den Spielen am Wochenende Bestleistung abzurufen.

Die Faszination zur Sprache bringen

Noch steht der eSport vor der Herausforderung, auch die Generationen fürs Gaming zu begeistern, die nicht damit aufgewachsen sind und bislang keine Berührungspunkte mit LoL und anderen Spielen haben. Das Konfliktpotenzial ist groß, nicht nur der DOSB stört sich daran, dass manche Spiele von Gewalt geprägt sind. Das bekannteste Beispiel dafür ist Counter-Strike, wo die Charaktere als Terroristen bezeichnet werden, Bomben legen und das gegnerische Team eliminieren müssen. Dies befeuert immer wieder die Debatte, in welchem Zusammenhang Computerspiele und Amokläufe stehen. Dieses Vorurteil habe in der Szene dazu geführt, dass viele Gamer nicht mehr über ihre Begeisterung sprechen wollen, sagt Schmitt. „Ich glaube aber, dass es die Aufgabe jedes einzelnen eSport-Fans ist, seine Faszination immer wieder zu erklären, damit die Gesellschaft es verstehen kann. Wir müssen darlegen, warum diese Faszination nichts Bedrohliches ist, sondern sogar eine Chance sein kann, die Generationen zu verbinden.“

Und wenn er schließlich davon schwärmt, wie er gegen den legendär erfolgreichen Spieler im League-of-Legends-Universum, den Südkoreaner Lee „Faker“ Sang-hyeok, bei einem Allstar-Turnier in Las Vegas antreten durfte und sogar gewann, ist die Faszination beinahe greifbar. „Faker ist unser Messi, unser Pelé – und von dieser Geschichte werde ich noch meinen Kindern erzählen!“ Dann versteht man, warum nicht nur Fußball die Menschen zum Lachen, Weinen und Tanzen bringt, sondern auch der eSport.

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09.06.2020