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Arbeiten

Jobsharing: Im Tandem erfolgreich

Geteilte Arbeit ist halbe Arbeit? Warum Unternehmen Jobsharing eine Chance geben sollten.
2021 02 FINT Artikel Quer unsplash Iqwlfc1cnnw
© Photo by Adolfo Félix on Unsplash
02.02.2021

Muttimodell, überbewertetes New-Work-Thema oder Karrierekiller Teilzeit: Jobsharing hat (noch) nicht das beste Image – steckt aber voller Potenzial und kann gerade in Krisenzeiten den Arbeitsalltag gehörig erleichtern. Wir checken, welche Formen der Arbeitsplatzteilung es gibt, wo die Vorteile liegen und warum manche Unternehmen immer noch skeptisch sind.

Jana Tepe und Anna Kaiser arbeiten in der Personalberatung des Bundesverbands Digitale Wirtschaft (BVDW), als ihnen eine besondere Bewerbung auf den Schreibtisch flattert: Zwei Frauen bewerben sich gemeinsam auf eine Führungsposition. Die beiden Personalerinnen sind begeistert von der Tandembewerbung und sehen darin die Lösung eines allgegenwertigen Problems: „Uns haben damals tagtäglich Menschen angesprochen, dass sie flexibler arbeiten wollen, wir konnten aber immer nur klassische Vollzeitstellen besetzen“, erzählt Anna Kaiser. Noch am selben Abend recherchieren sie, was hinter Jobsharing steckt, wie die gesetzliche Grundlage dafür in Deutschland ist, und beschließen, dass es keine Zeit mehr zu verlieren gilt. Zwei Tage später kündigen sie ihre Jobs und gründen ihr eigenes Unternehmen: Tandemploy – eine Plattform für Menschen, die sich einen Job mit einer anderen Person teilen wollen. Ein entsprechender Algorithmus vereinfacht die Suche.

Jana und Anna Tandemploy 1 Print quer Anna und Jana von Tandemploy. © Photo by TANDEMPLOY

Rund sieben Jahre später können Anna und Jana auf eine erfolgreiche Unternehmensgeschichte zurückblicken: Sie teilen sich die Geschäftsführung im Tandem (vgl. „Top-Sharing“), ihr Team ist auf 30 kreative Köpfe angewachsen – viele davon nutzen Jobsharing und flexible Arbeitszeitmodelle. „Alle im Team arbeiten maximal flexibel, schreiben nebenher Bücher, bereisen die Welt oder besuchen die Clown-Akademie“, sagt Anna. Das Start-up selbst hat sich weiterentwickelt: Statt der B2C-Plattform steht nun Unternehmenssoftware im Vordergrund. Über den „Talent Marketplace“ können sich Mitarbeitende innerhalb einer Firma für kollaborative Arbeits- und Lernformen vernetzen und so Silos aufbrechen. Bei großen Konzernen kommt die Software bereits zum Einsatz: SAP etwa nutzt die Software, um Mitarbeitende rund um den Globus für Job-Tandems und generationsübergreifend verbinden zu können.

Arbeitsplatzteilung ist kein neues Phänomen – sondern stammt ursprünglich aus den USA und existiert im deutschsprachigen Raum bereits seit den 1980er Jahren. Es beschreibt eine Form der Halbtagsbeschäftigung, bei der sich zwei oder mehrere Angestellte eine Stelle und ein Gehalt teilen. Die gesetzliche Grundlage dafür bildet § 13 Teilzeit- und Befristungsgesetz (TzBfG).

Dabei gibt es verschiedene Ausprägungen der Arbeitsplatzteilung:

Job-Splitting

Hier wird eine Vollzeitstelle in zwei voneinander unabhängige Teilzeitarbeitsplätze aufgespalten. Die Aufgabenprofile derjenigen, die sich die Position teilen, sind zwar identisch, die Verantwortungsbereiche überschneiden sich aber nicht, sodass keine intensive Abstimmung untereinander nötig ist. Kündigt einer der Angestellten, bleibt der Arbeitsplatz des anderen davon unberührt, der Arbeitgeber muss sich um Ersatz kümmern. Job-Splitting ist zwar die gängigste Variante der Arbeitsplatzteilung – aufgrund der klaren Trennung der Arbeitsplätze erkennen viele im Personalwesen diese Form aber nicht als richtiges Jobsharing an.

2021 02 FINT Artikel Jobsharing Hoch unsplash AT5vu Poi8vc © Photo by Charles Deluvio on Unsplash

Job-Pairing

Im allgemeinen Verständnis steht Jobsharing stattdessen synonym für Job-Pairing: Die Tandempartnerinnen und -partner haben zwar unterschiedliche Aufgabenprofile, ergänzen sich aber zumindest in bestimmten Bereichen – in einer gemeinsamen Rolle kann jeder seine Stärken ausspielen. Sie stimmen sich darüber ab, wer welche Aufgaben und Verantwortungen übernimmt – wichtige Entscheidungen werden gemeinsam getroffen. Auch bei der Aufteilung der Arbeitszeit sind sie flexibel: Statt jeweils 50 Prozent zu übernehmen, sind auch andere Verhältnisse möglich – etwa, dass eine Person nur 20 Prozent, die andere dafür 80 Prozent arbeitet.

Neben einer zeitlichen Aufteilung von Aufgaben funktioniert Jobsharing auch inhaltlich. Bei der Fiducia & GAD hat man sich beispielsweise dazu entschieden, den komplexen Aufgabenbereich der Nachhaltigkeit auf zwei Personen aufzuteilen. Benjamin Hoffmann, bei der Fiducia & GAD verantwortlich für Nachhaltigkeit und Kundenbeziehungen, gehört diesem Tandem an und sieht in der Arbeitsteilung viele Vorteile: „Meine Kollegin Marina und ich steuern zusammen das Thema Nachhaltigkeit und treiben es im gesamten Unternehmen voran. Wir sprechen uns immer ab und treffen Entscheidungen gemeinsam, sodass sich die Verantwortung auf mehrere Schultern verteilt. Das Tandem-Modell passt dabei optimal zu einer agilen Organisation: Themen können bereichsübergreifend angegangen werden. Gemeinsam reißen wir klassische Silo-Grenzen ein.“

2021 02 FINT Artikel Quer pexels 207950 © Photo by Pixabay on Pexels

Ein weiterer Pluspunkt, solche Aufgaben im Tandem anzugehen, liegt für ihn darin, dass beide unterschiedliche Sichtweisen einbringen – während Benjamin Industrie, Banken sowie Kundinnen und Kunden im Fokus hat, konzentriert Marina sich auf Mitarbeitende und eine nachhaltige Unternehmenskultur: „Weiteres Wissen holen wir uns über Fachkräfte aus den Bereichen Ökologie, Ökonomie und Soziales und setzen so gemeinsam die Strategie unternehmensweit um.“

Top-Sharing

Top-Sharing bezeichnet die Arbeitsplatzteilung in Führungspositionen: Die Führungskräfte teilen sich die Aufgabenbereiche sowie die Verantwortung über die Mitarbeitenden, strategische Entscheidungen treffen sie in enger Abstimmung miteinander. Neben der Reduzierung der Arbeitszeit profitieren Tandems auf Chefebene vor allem von der gemeinsamen Arbeitsweise: „Oft geht es darum, jemanden zu haben, mit dem man kollaborativ arbeiten und Entscheidungen besprechen kann, statt sie einsam zu treffen. Man hat gewissermaßen eine Art Gratis-Coach an der Seite. Das beschreiben die Tandems als sehr wertvoll, denn eine solche Nähe hat man in der Regel nicht zu Teamkollegen. Je höher, desto einsamer – das gilt nicht für Jobsharer“, erklärt Svenja Christen, Gründerin von „The Jobsharing Hub“. So bietet zum Beispiel der Automobilhersteller Daimler seit mittlerweile zehn Jahren Top-Sharing an – mit Erfolg: 2018 nutzten mehr als 250 Personen das flexible Arbeitsmodell.

Mehr Zeit fürs echte Leben

Und die Nachfrage nach flexiblen Arbeitszeitmodellen steigt, auch wenn Jobsharing oftmals noch als „Muttimodell“ verschrien ist. Das verwundert angesichts der Vollzeit- und Teilzeitquote von erwerbstätigen Männern und Frauen mit minderjährigen Kindern allerdings nicht: Im Jahr 2019 waren mehr als 66 Prozent der Mütter, jedoch nur 6,4 Prozent der Väter in Teilzeit beschäftigt. Demgegenüber steht der Wunsch vieler junger Väter nach mehr Zeit für Kinder und Familie: Drei von vier Männern würden deshalb gern ihre Arbeitszeit reduzieren, scheitern aber meist daran, dass sie der Hauptverdiener im Haushalt sind. Frauen wiederum würden gern ihre Karriere vorantreiben, ohne dabei die Familie vernachlässigen zu müssen.

2021 02 FINT Artikel Hoch unsplash 2 Ioe2 O18 © Photo by Tyler Nix on Unsplash

In Unternehmen herrscht jedoch noch viel Skepsis. Die größten Kritikpunkte: mangelnde Kostenneutralität und Unklarheiten bei der Verantwortung. Damit zum Beispiel das Job-Pairing funktioniere, müsse das Tandem mindestens 120 Prozent arbeiten, da ein intensiver Austausch zwischen den beiden Angestellten nötig sei, sagt Jutta Rump, Direktorin des Instituts für Beschäftigung und Employability der Hochschule Ludwigshafen, im Handelsblatt. Unternehmen sind sich auch hinsichtlich der Verantwortung unsicher: Wie gehen sie mit dem Tandem um, wenn einer von beiden einen Fehler macht oder nicht zuverlässig arbeitet – müssen beide dafür geradestehen? Wie verfahren sie bei Leistungsprämien oder im Kündigungsfall? Wird das Tandem dem Modell entsprechend als Einheit gesehen oder werden die beiden Angestellten doch separat bewertet? Da es keine standardisierten Antworten auf diese Fragen gibt, zögern viele Unternehmen.

Im Tandem durch die Krise

Hellhörig machen sollte sie allerdings eine Umfrage des Jobsharing Hubs und des Wissenschaftszentrums für Sozialforschung in Berlin (WZB) unter 55 Angestellten, die Jobsharing betreiben: Sie berichten, dass das Arbeitsmodell vor allem während der Corona-Pandemie viele Vorteile bietet. So sagen 87 Prozent der Befragten, dass die Arbeit im Jobsharing die Bewältigung der neuen Komplexität und Unsicherheit in der Krise erleichtert habe. Darüber hinaus fühlen sie sich durch ihre ohnehin flexible Arbeitssituation während der Lockdowns und im Homeoffice besser gewappnet (72 %), sie können das Arbeitsaufkommen besser bewältigen (76 %) und Familie – insbesondere die Kinderbetreuung – und Beruf leichter vereinbaren (64 %). Zahlen, die offenbaren, welches Potenzial in Jobsharing steckt.

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02.02.2021