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Banken

Geld ohne Banken - mit Distributed Ledger?

Distributed-Ledger-Technologien könnten das in Zukunft möglich machen. Doch wie funktionieren sie überhaupt?
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Photo by Raphaël Biscaldi on Unsplash
07.07.2020

Im Windschatten des Krypto-Hypes haben Technologien wie die Blockchain und Distributed Ledger stark an Bekanntheit gewonnen. Dabei gelten sie für viele als technologische Neuerungen, die unsere Lebenswelt in Zukunft radikal verändern werden. Wie sie funktionieren und was ihre Vorteile sind.

Vor wenigen Jahren waren Kryptowährungen außerhalb der Fintech-Szene noch so gut wie niemandem bekannt. Heute berichten Medien regelmäßig von dramatischen Kursschwankungen beim Bitcoin oder dem disruptiven Potenzial von Ripple und Ethereum. Auch die hinter den Kryptowährungen stehenden Technologien werden dabei immer häufiger zum Thema. Ob Blockchain oder Distributed Ledger – fast jeder hat schon einmal davon gehört. Nur was genau ist überhaupt der Unterschied zwischen einer Blockchain und einem Distributed Ledger und wie hängen diese beiden Technologien zusammen?

Distributed Ledger: Dezentral und digital

Als Distributed Ledger (wörtlich „verteilte Kontobücher“) werden Buchhaltungssysteme oder Datenbanken bezeichnet, bei denen die Dokumentation und Verwaltung von einem Netzwerk übernommen wird. Ein Ansatz, der auf Dezentralität beruht und sich damit grundlegend von klassischen Buchhaltungen unterscheidet, wie sie zum Beispiel bei den meisten Währungen zum Einsatz kommen. So wird etwa der Euro von einer einzelnen, zentralen Institution verwaltet, der Europäischen Zentralbank. Sie allein ist damit beauftragt, die relevanten Vorgänge im Netzwerk, in diesem Fall die Transaktionen mit den Geschäftsbanken, in einem Kontobuch zu dokumentieren. Die Aufgaben der Datenspeicherung und Verwaltung liegen ausschließlich in ihrer Hand.

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Anders ist es bei Distributed-Ledger-Technologien, die mit „verteilten Kontobüchern“ arbeiten. Hier verfügt jeder Teilnehmer über eine eigene Kopie des Hauptbuchs, in die die buchungsrelevanten Vorgänge des Netzwerks über einen technischen Mechanismus hineingeschrieben werden. Bei Bitcoin ist dieser Mechanismus eine Blockchain. Sie übernimmt die Abstimmungsarbeit zwischen den Büchern, den Protokollen. Dazu speichert sie in den Protokollen eine Historie mit allen Transaktionen, die jemals in der Währung getätigt wurden. Diese Historie wird über einen Schlüssel kryptografisch verkürzt, zum Beispiel indem sie mit einem einfachen Kennzeichen zusammengefasst wird. Neue Transaktionen werden dann mit der gleichen Verschlüsselung in den Protokollen hinzugefügt, die verschiedenen Kopien im Netzwerk stimmen dabei stets miteinander überein. Eine für einen Distributed Ledger wichtige Anforderung, die man auch als Konsensus bezeichnet. Sie lässt sich auf mehreren Wegen herstellen, ist in der technischen Umsetzung allerdings gar nicht so einfach.

So gab es bereits vor vierzig Jahren erste Ansätze von geteilten Buchhaltungen. Da die damaligen Technologien jedoch kaum dazu in der Lage waren, die nötige Abstimmungsarbeit in einem für die Praxis akzeptablen Zeitraum zu leisten, sind diese Versuche ohne Erfolg geblieben. Wirklich praktikabel wurde das Ganze erst mit dem Einsatz digitaler Technologien und leistungsstarker Prozessoren. Mit ihnen lassen sich Distributed Ledger problemlos in Netzwerken mit Millionen von Nutzern realisieren. Dabei werden verschiedene Architekturen eingesetzt, die Blockchain stellt hier nur einen möglichen Ansatz dar.

Verschiedene Architekturen und Konsensmechanismen

So gibt es neben der Blockchain auch noch andere Architekturen, wie die sogenannte blockDAG- oder die TDAG-Architektur. Unabhängig davon wie diese Architekturen im Detail ausgestaltet sind, unterscheiden sie sich vor allem in einer Hinsicht, nämlich dem Mechanismus, mit dem sie für Übereinstimmung zwischen den Protokollen im Netzwerk sorgen: dem sogenannten Konsensmechanismus. Er ist für die Sicherheit des Systems von zentraler Bedeutung und kann Manipulationsmöglichkeiten, wie das mehrmalige Ausführen einer Transaktion oder das Ändern von Kontoständen, technisch ausschließen. Bei den Konsensmechanismen gibt es zwei dominierende Ansätze, die „Proof-Of-Work“ (PoW) und die „Proof-OfStake“-Methode (PoS).

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Die PoW-Methode kommt bei den meisten Kryptowährungen zum Einsatz, auch die Blockchain-Architektur von Bitcoin basiert auf ihr. Sie kann Manipulationen ausschließen, indem sie die in den Protokollen abgespeicherten Datensätze verschlüsselt und aneinander kettet. Ältere Datensätze werden dabei mit einer Kennzahl, einem sogenannten Hash, zusammengefasst und in den neueren Datensätzen mit abgespeichert. So bezieht sich jede Transaktion automatisch auf ihre vorherigen; nachträgliche Änderungen sind nicht möglich. Auch Transaktionen, die der Blockchain neu hinzugefügt werden, müssen dieser Verschlüsselung folgen. Fügt ein Computer der Blockchain einen neuen Datensatz hinzu, muss er sich zuerst mit den bestehenden Protokollen vernetzen und dann einen passenden Hash errechnen, der in Übereinstimmung mit der Mehrzahl der Protokolle steht. Das Errechnen ist dabei sehr arbeitsintensiv, da die Computer den Algorithmus, mit dem die Kennzahl generiert wird, nicht kennen und die Lösung erraten müssen. Derjenige Computer, der die richtige Lösung als erstes findet, schreibt den neuen Datensatz in die Blockchain und bekommt dafür eine Entlohnung. Ein Mechanismus, der sich nur verfälschen lässt, wenn mindestens die Hälfte aller Protokolle im Netzwerk ausgetauscht werden. Da man Distributed Ledger jedoch nur in wirklich großen Netzwerken einsetzt, ist das praktisch unmöglich.

Der PoW-Mechanismus bietet dem Netzwerk ein hohes Maß an Sicherheit, ist allerdings auch sehr ressourcenintensiv, weshalb manche Kryptowährungen neben der PoW- gleichzeitig auch die PoS-Methode einsetzen. So auch Ethereum, dessen Architektur ebenfalls auf der Blockchain-Technologie beruht. Im Unterschied zu Bitcoin wird bei Ethereum allerdings jeder fünfzigste Block per Zufallsmechanismus an einen Computer gegeben, der diesen dann an die Blockchain anhängen darf. Das aufwändige Lösen von Aufgaben bleibt den Computern damit erspart, sodass weniger Ressourcen verbraucht werden.

Vor- und Nachteile der Distributed-Ledger-Technologie

Der größte Vorteil von geteilten Buchhaltungen liegt in ihrer Manipulations- und Fälschungssicherheit. Eine Eigenschaft, die ihnen aufgrund ihrer dezentralen Struktur inhärent ist und auch als „Security by Design“ bezeichnet wird. Sie unterscheidet Distributed Ledger grundlegend von zentralen Buchhaltungen, die Manipulationssicherheit nur dann herstellen können, wenn sie einer zuverlässigen Kontrolle unterliegen. Bei Banken wird die Kontrolle beispielsweise von der Finanzaufsicht ausgeübt. Sie überprüft die Einhaltung rechtlicher Vorgaben, um die Betrugsmöglichkeiten so gering wie möglich zu halten. Für die zuständigen IT-Spezialisten bedeutet das oftmals ein Kopf-an-Kopf-Rennen mit den Betrügern – denn diese werden in Sachen Angriffsszenarien immer kreativer. Doch jegliche Kontrollmechanismen können einen Missbrauch nie vollständig ausschließen. Die zentrale Instanz stellt deshalb einen systemischen „Single Point of Failure“ und damit auch eine potenzielle Gefahr für das gesamte Netzwerk dar.

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Distributed Ledger sind in dieser Hinsicht anders aufgebaut. Ihre Dezentralität schützt nicht nur vor Manipulationen, sondern erlaubt es Teilnehmern auch, jederzeit Einsicht in das geteilte Protokoll zu bekommen. Zwar sind die dort gespeicherten Daten nicht immer verständlich - etwa, weil Kontostände von Dritten nicht sichtbar sein sollen und deshalb verschlüsselt werden - doch die Möglichkeiten, das System transparent zu gestalten sind vorhanden. Ein weiterer Vorteil eines Distributed Ledger ist, dass alle Nutzer gleichberechtigt sind und ohne Vermittler miteinander kommunizieren können. Bei Zahlungssystemen lassen sich Transaktionen so direkt zwischen zwei Nutzern durchführen, was Zeit sparen kann und hierarchisch höhergestellte Instanzen, wie beispielweise Banken, in Zukunft überflüssig machen könnte. Auch große Skalierungen sind mit einem solchen Peer-to-Peer-Netzwerk ohne viel Aufwand möglich. Für Währungen mit mehreren Millionen Nutzern eine wichtige Voraussetzung. Zu guter Letzt bieten Distributed Ledger noch einen weiteren Vorteil: Sie lösen das sogenannte Problem der doppelten Ausgaben. Hintergrund: Digitales Geld kann durch das einfache Kopieren von Dateien leicht vervielfältigt werden, was in der Praxis zu einer sehr aufwändigen Überwachung durch die Banken führt. Mit der Transparenz von geteilten Buchhaltungssystemen werden doppelte Ausgaben jedoch für alle ersichtlich und damit ausgeschlossen.

Neben den Vorteilen haben Distributed Ledger natürlich auch einige Nachteile, allem voran ihren enormen Ressourcenverbrauch. Der kommt dadurch zustande, dass immer größer werdende Datenmengen gespeichert und für das Netzwerk bereitgehalten werden müssen. Dazu kommen die Aufwände für das ständige Abstimmen der Protokolle und die mitunter riesigen Rechenleistungen, die zum Lösen der Aufgaben bei Architekturen mit einem PoW-Mechanismus benötigt werden. Das alles kann zu einem enormen Stromverbrauch führen. Ein weiteres Problem, das im Zusammenhang mit Blockchain-Architekturen auftreten kann, sind sogenannte Mining-Pools. Das sind Zusammenschlüsse von Rechenzentren, die dazu führen, dass die Dezentralität des Netzwerks in Teilen aufgehoben wird. Bei Bitcoin kommt es immer wieder zu Konstellationen, bei denen die größten Mining-Pools über 51 Prozent der Hash-Power des gesamten Netzwerks besitzen. Damit könnten sie die Protokolle der Währung nach ihren Vorstellungen umschreiben.

Geld künftig ohne Banken?

Was bedeutet das für die Zukunft der Technologie? Werden Distributed Ledger wirklich zu einer Disruption im Finanzwesen führen? Experten halten das derzeit für unwahrscheinlich, auch wenn bisherige Anwendungen das Potenzial der Technologie bereits unter Beweis gestellt haben. So gibt es dezentrale Buchhaltungen derzeit nicht nur bei Kryptowährungen, sondern in kleineren Maßstäben auch in der Wissenschaft, der Finanzindustrie, dem Gesundheitswesen und in der Logistik. Ob sich diese Anwendungen durchsetzen werden, hängt allerdings nicht nur von der Leistungsfähigkeit der Technologie ab. Wirtschaftliche Faktoren spielen eine mindestens genauso große Rolle.

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Und hier gibt es einige Hürden. Da Distributed Ledger einen hohen Bedarf an Rechenleistung haben, sind sie nur bei sehr großen Skalierungen rentabel. Das schränkt die Zahl möglicher Use Cases stark ein. Dazu kommt der Umstand, dass der Einsatz von Distributed-Ledger Technologien stets mit der Abschaffung zentraler Institutionen verbunden ist. Für Industrieunternehmen oder große Finanzdienstleister, die die Technologie einsetzen möchten, würde das bedeuten, dass man langjährige Geschäftspartner überflüssig macht– ein eher unwahrscheinliches Szenario.

Realistischer ist, dass die Entwicklung von kleineren Fintech-Unternehmen angetrieben wird. Sie werden die Technologie nicht nur da zur Anwendung bringen, wo es heute bereits zentrale Buchhaltungssysteme gibt, sondern versuchen, ganz neue Anwendungsfälle und Geschäftsmodelle zu entwickeln. Für eine technologische Disruption ist das eine wichtige Voraussetzung, denn ein bloßes Ersetzen einer Technologie ändert noch nicht das bestehende Modell. Inwieweit ein solcher Prozess jedoch Erfolg hat, hängt auch von der staatlichen Regulierung und der Akzeptanz der Nutzer ab.

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07.07.2020