Vom Zuschauer zum Schiedsrichter – ein Wandel, den immer mehr Politiker*innen durchlaufen, wenn es um die Regulierung von Krypto-Assets geht. Ob in den USA, China oder der EU: Mittlerweile äußern viele Gesetzgebende und Aufsichtsbehörden harte Kritik an Krypto-Assets wie dem Bitcoin. Oder werden gleich mit scharfen Gesetzesvorschlägen selbst aktiv.
Libertäre Träume, reale Gefahren
So zum Beispiel Anfang 2022 im EU-Parlament. Dort hat ein Bündnis grüner und linker Politiker*innen gleich drei Mal zum Verbot des Bitcoins ausgeholt (MiCA-Verordnung). Der Grund: Der enorme Energieverbrauch und CO2-Ausstoß des Bitcoins. Verhindert wurde das ambitionierte Vorhaben nur durch das engagierte Einschreiten einiger Parlamentsmitglieder aus dem Ausschuss für Wirtschaft und Währung (ECON). Als Interessensvertreter*innen der Krypto-Branche sprechen sie sich für regulatorische Samthandschuhe statt klarer Kante aus und wollen damit ein Abwandern von Innovationen, Profiten und Arbeitsplätzen im Binnenmarkt verhindern und den Standortvorteil der EU sichern. Ein Wortführer dieses Lagers ist der CDU-Politiker und „Bitcoin-Schutzengel“ Christian Berger. „Europa sollte den wachsenden Krypto-Asset-Sektor stärken. Wir wollen mehr europäische Innovationen. Keine Angst vor dem Bitcoin, stattdessen Potenziale nutzen“, so das ECON-Mitglied kürzlich auf Twitter.

Aber die Stimmen der Skeptiker*innen werden immer lauter. In der EU, wie in den USA, wo sich der Kampf gegen die digitalen Privatwährungen derzeit auf sogenannte Stablecoins konzentriert. Stablecoins, heißen "stabil", weil sie an den Wechselkurs einer "echten" (also von einer Zentralbank gedeckten) Währung gekoppelt sind. Das soll sie vor Wertschwankungen schützen. Als Anker hierfür wird in den meisten Fällen der US-Dollar herangezogen, da er die globale Leitwährung darstellt. Das Problem: Werden an den Dollar gebundene Stablecoins emittiert, kann das den gleichen Effekt haben wie eine echte Geldmengenausweitung der US-Währung. Für Kritiker, wie den zuständigen US-Senatsausschuss für Banken, ein Eingriff in das Währungsmonopol und die monetäre Souveränität der Fed und damit ein Kardinalverstoß. Das betont zunehmend auch die amerikanische Notenbank, die als Hüterin des Dollar die vielleicht wichtigste Institution des globalen Finanzsystems darstellt. Einige US-Abgeordnete und Lobbyist*innen sehen das jedoch entspannter. Für sie stehen beim Streit um mögliche Regulierungen eher die Gewinnaussichten und Innovationen der Krypto-Branche im Vordergrund. Doch braucht es dafür wirklich die digitalen Dollar-Attrappen? Oder den Klimakiller Bitcoin?
Follow the Science – not the Hype!
58.960.000.000 Kilogramm CO2 – so groß ist der jährliche Fußabdruck des Bitcoins nach Schätzungen von Alex de Vries, Wissenschaftler an der Erasmus Universität Rotterdam. Grund für diese enormen Emissionen ist der hohe Stromverbrauch des Bitcoin-Minings, der vor allem auf den Einsatz des „Proof-of-Work-Mechanismus“ (PoM) zurückzuführen ist. Eine technologische Besonderheit, die zur sicheren Konsensherstellung im Bitcoin-Netzwerk gebraucht wird und Miner dazu zwingt, möglichst energieintensive Rätsel zu lösen, bevor sie ihre Arbeit an der Blockchain verrichten dürfen. Aufgrund des PoW-Mechanismus ist der Stromhunger des Bitcoins in etwa so groß wie der Verbrauch der Niederlande. „Die Energiebilanz von Kryptos muss besser werden“, fordert deshalb der grüne EU-Abgeordnete Rasmus Andresen, einer der Initiatoren des knapp gescheiterten EU-Gesetzes. Mit seinen Mitstreitenden will er ein direktes Verbot des PoW-Mechanismus und damit des Bitcoin-Minings in der EU erwirken und dafür eine „technologieneutrale“ Regulierung mit „harten ökologischen Kriterien“ durchsetzen. Angesichts steigender Energiepreise und der Klimakrise eine nachvollziehbare Forderung. Selbst Sam Bankman-Fried, der mit der FXT einer der weltweit größten Börsen für digitale Vermögenswerte gegründet hat, hält den Bitcoin aufgrund des PoW-Mechanismus als zukünftiges Zahlungsmittel für ungeeignet. Das führt zu einer simplen Frage: Wozu braucht es den Bitcoin überhaupt?

Für Hardliner aus dem Bitcoin-Kosmos ist die Antwort klar: Staatliches Geld wird von Zentralbanken gelenkt, die ein Inflationsziel haben und dafür den Leitzins und die Mechanismen der Geldschöpfung kontrollieren dürfen. Das sei undemokratisch und enteigne den gemeinen Bürger, da die Inflation zu Kaufkraftverlusten führt. Als Lösung schlagen sie deshalb dezentrales Geld vor, das technisch so gestaltet ist, dass sich die Geldmenge nicht verändern lässt. Und das anders als „staatliches Fiatgeld“ über einen „intrinsischen Wert“ verfüge, wie beispielsweise Gold. Ziel ist eine demokratisierende und deflationäre Wirkung. Überzeugt? Die meisten Ökonomen und Zentralbanker sind es jedenfalls nicht. Und das sind immerhin die klügsten Köpfe der Finanzbranche und Wirtschaftswissenschaften.
Zu denen gehören auch die Vorsitzenden der Bank für Internationalen Zahlungsausgleich (BIZ), die so etwas wie die internationale Notenbank der Notenbanken darstellt. In ihren jährlichen Berichten haben sie den Bitcoin schon mehrmals scharf kritisiert und ihm den Status als Währung abgesprochen. BIZ-Generaldirektor Agustin Carstens bezeichnete den Bitcoin sogar als eine "Kombination aus Spekulationsblase, Schneeballsystem und Umweltkatastrophe". Ähnlich fällt auch das Urteil von EZB-Chefin Christin Lagarde aus: „Kryptos sind keine Währungen. Punkt.“ Warum die EZB diese Position vertritt, erklärt die Euro-Hüterin sogar auf einer eigens eingerichteten Internetseite. Um es kurz zu machen: Ob Geldtheorie, Inflation oder Geldpolitik – die ökonomischen Ansichten, die die meisten Bitcoin-Fans vertreten, sind stark verkürzt, verzerrt oder völlig überholt. Staatliches Geld ist nicht das Problem, sondern Teil einer demokratischen Lösung – darüber herrscht unter allen seriösen Ökonomen Konsens.

Regulatorik als Chance begreifen
So wird über die Bedeutung der Krypto-Branche zurzeit diesseits und jenseits des Atlantiks gestritten. Dabei hat sich immer mehr die Einsicht durchgesetzt, dass eine völlige „Laisse-Faire“-Haltung gegenüber Krypto-Assets nicht mehr zeitgemäß ist. Zu groß ist der Einfluss der etwa 10.000 Krypto-Währungen auf die Finanzmärkte, den Energieverbrauch und das Klima. Das Interessante: Auch gemäßigte Krypto-Befürworter*innen in den Parlamenten lehnen Regulierungen nicht per se ab. Vielmehr haben sie verstanden, dass eine „richtige“ Regulierung der kriselnden Branche zu mehr Seriosität verhelfen kann – und damit zu einer breiteren Akzeptanz. Und das ist angesichts der derzeitigen Kurseinbrüche auch dringend nötig. Immerhin ist die Marktkapitalisierung aller Krypto-Assets zwischen November 2021 und Mai 2022 von rund 2,8 Billionen Euro auf gerade einmal 1,2 Euro gefallen. Einige Coins sind sogar völlig zusammengebrochen. Etwa der an den Dollar gekoppelte Terra-USD. Einst eine der zehn größten Krypto-Währungen, ist der Stablecoin derzeit völlig wertlos.
Wer gewinnt das Ausscheidungsrennen?
In gewisser Weise kommt die Diskussion um härtere Regulierungen für die Krypto-Branche also genau zur richtigen Zeit. Denn um einem zunehmenden Vertrauensverlust der Märkte entgegenzuwirken, dürfte nichts besser sein als ein gesetzlicher Rahmen, der Sicherheit und Planbarkeit schafft. Auch ist davon auszugehen, dass es langfristig zu einer Konsolidierung der Krypto-Assets und Börsen kommt, wobei sich wahrscheinlich nur die sichersten und nachhaltigsten Coins durchsetzen werden. Ein Aspekt, den auch die Krypto-Kritiker*innen nutzen können, um mit ihren Gegner*innen sinnvolle Kompromisse zu erzielen. In der EU ist man bereits zu einer ersten Einigung gekommen: Statt den PoW-Mechanismus in der anstehenden MiCA-Verordnung zu verbieten, soll zur Dekarbonisierung der Branche nun lieber die EU-Taxonomie herangezogen werden. Und auch in den USA – wo der Crash der Stablecoins den Handlungsdruck erhöht – sollen sich die verschiedenen Interessensgruppen laut Nachrichtendienst Reuters auf der regulatorischen Zielgerade befinden. Demnach hat neben Äußerungen von US-Finanzministerin Janet Yellen auch ein hochrangiger Beamter der US-Börsenaufsichtsbehörde (SEC) ein baldiges Eingreifen signalisiert.

Die Diskussion trägt also Früchte. Das Hilft auch dem digitalen Euro oder Dollar. Denn ohne die Konkurrenz der Privatwährungen wäre es hier in den vergangenen Jahren wohl kaum zu derartigen Fortschritten gekommen. Für viele Zentralbanker stellen die Central Bank Digital Currencies (CBDC) langfristig die attraktivste Variante einer digitalen Kryptowährung dar. Dabei würde ihr Erfolg auch eine ähnliche Wirkung haben, wie eine harte Regulierung, so der Fed-Chef Jerome Powell: „You wouldn’t need stablecoins, you wouldn’t need cryptocurrencies if you had a digital U.S. currency”.