Am 9. Dezember 2021 stieß der US-Konzern Meta erstmals für wenige Wochen seine Tore zum Metaverse auf – den sogenannten „Horizon Worlds“. Ausgestattet mit einem Facebook-Konto und einer VR-Brille konnten Nutzer*innen sich in der dreidimensionalen Test-Welt frei bewegen, um Paint-Ball zu spielen oder Angeln zu gehen. Eine nette Freizeitbeschäftigung für Kinder, könnte man meinen. Doch sieht so auch die Zukunft des Internets aus?
Das nächste große Ding
Glaubt man den Ankündigungen großer Internet-Konzerne, lautet die Antwort „ja“. Für sie ist klar, dass der Umzug ins Metaverse den entscheidenden Schritt zum Web 3.0 darstellen wird. Meta hat deshalb bereits rund 10 Milliarden US-Dollar in entsprechende Entwicklungen gesteckt. Und auch Apple und Google wollen sich mit Übernahmen von Spiele- und VR-Entwicklern auf das neue Zeitalter vorbereiten, was Microsoft mit dem 70-Milliarden-Kauf von Blizzard bereits gelungen ist – also einer Summe so groß wie dem BIP von Luxemburg. Immerhin könnte der Übergang zum Metaverse dem Unternehmen ähnliche Wachstumsraten bescheren, wie in den Nullerjahren das Aufkommen des Web 2.0. Damals entwickelte sich das Internet innerhalb weniger Jahre von einem Online-Schaufenster zu einer interaktiven Kommunikationsplattform mit nutzergeneriertem Content. Und reichlich Kommerz.

Was bisher geschah
Dabei hatte die Idee hinter dem Web 2.0 anfangs nur wenig mit Kommerz zu tun. Für IT-Idealisten bestand sie eigentlich darin, möglichst viel Wissen für möglichst viele Menschen frei verfügbar zu machen – das Netz als Schwarmintelligenz. Rund 20 Jahre später ist klar, dass von dieser Utopie nur wenig übrig geblieben ist. Denn heute liegen die Produktionsmittel der „Content Creators“ in der Hand weniger Internet-Konzerne. Ein Zustand, der auch als „Plattform-Ökonomie“ bezeichnet wird und zur Jahrtausendwende noch nicht vorherzusehen war. Unter dem Titel der „New Economy“ spekulierten Anleger und Unternehmer damals heftig, wie sich das Netz entwickeln würde. Als im Jahr 2000 dann die Dotcom-Blase platzte, machte eine harte Marktbereinigung die heute bekannten Tech-Giganten zu den Gewinnern des Boom-Marktes. Damit verlief die Entwicklung des frühen Internets ziemlich genau so, wie es der Hype-Zyklus von Jackie Fenn vorhersagt. Ihm zufolge erreichen Hypes für gewöhnlich erst einen „Gipfel der überzogenen Erwartungen“, bevor sie ein reinigendes „Tal der Enttäuschungen“ durchlaufen müssen, um dann in ein „Plateau der Produktivität“ überzugehen. Wird es so auch beim Metaverse sein?

Worum es beim Metaverse geht
Ob Dezentralität, Ownership oder virtuelle Grundstücke – am Metaverse ist für Neulinge vieles verwirrend. Beginnen wir deshalb zunächst mit seinem einfacheren Teil: Der VR-Brille. Für viele der derzeit existierenden Metaversen ist sie Pflicht. Zusammen mit zwei Controllern und dem integrierten Headset versetzt das Set-Up – das es von Meta-Tochter Oculus ab etwa 400 Euro gibt – Nutzer*innen im Handumdrehen in eine immersive 3D-Simulation. Dabei können sie sich intuitiv in der Simulation umschauen, bewegen und mit Gegenständen und anderen Nutzer*innen interagieren. Die Simulationen sehen heute zwar noch stark nach Comic-Zeichnungen aus, doch eine realistischere Mimik und Gestik der Avatare soll schon bald für eine bessere Optik und non-verbale Kommunikation (VR-Chat) sorgen. Gleichzeitig wollen Unternehmen zahlreiche Online-Dienste „seamless“ in die Simulation integrieren – ob Online-Shops, Multi-Player-Games, Live-Events oder Filme.

Und was ist mit Dezentralität und Ownership?
Auf der Nutzeroberfläche wird das Metaverse also zur schicken 3D-Welt samt Shopping-Mall – so weit, so verständlich. Wenngleich man sich bereits hier die Frage stellen darf, ob das Web 2.0 mit Video-Calls und 2D-Websiten nicht bereits Ähnliches leistet. Und dabei im Taschenformat überall mit hingenommen werden kann. Doch statt Transportfähigkeit soll das Metaverse über andere Vorzüge verfügen, wie zum Beispiel dezentrale Ledger. Gemeint ist damit, dass die Metaversen nicht auf einem zentralen Server abgespeichert werden, sondern zeitgleich auf mehreren Rechnern eines riesigen Netzwerks. Eine Technologie, die häufig auch als Blockchain bezeichnet wird und im Bereich digitaler Infrastrukturen als große Innovation gilt. Denn anders als herkömmliche Datenbanken sind dezentrale Ledger dazu in der Lage, „eindeutige Entitäten“ im Netz zu erzeugen – ganz ohne zentrale Institutionen oder Mittelsmänner. Doch was bedeutet das nun für das Metaverse?

Die Abschaffung der Knappheit
Die Antwort lautet: Ownership. Hinter dem Schlagwort steckt die Idee, dass Nutzer*innen im Metaverse künftig Dinge (vor allem Immobilien) kreieren können, die dank Blockchain-Technologie klar identifizierbar sind und von Personen exklusiv „besessen“ werden können. Auf diese Weise soll es zu einem Ende des Copy-Paste-Regimes im Internet kommen, was in gewisser Weise eine Revolution darstellt. Denn um zu verhindern, dass Waren durch kostenloses Vervielfältigen ihren Wert verlieren, mussten Unternehmen ihre Produkte im Internet bisher künstlich verknappen oder über Werbung querfinanzieren. Ersteres ist zum Beispiel bei Spotify oder Netflix der Fall, die ihre Streaming-Inhalte über Abos limitieren. Letzteres macht unter anderem Meta, indem es Facebook und Instagram gratis anbietet und Nutzerdaten an Werbetreibende verkauft. Für die Internet-Konzerne ein lukratives Geschäft. Doch gewöhnliche Content-Kreierende gehen bei dieser Art der plattformzentrierten Arbeitsteilung leer aus. Mit dem Konzept des Ownerships soll sich das ändern – so zumindest die Theorie.

Innovationen ohne Sinn und Zweck?
Doch in der Praxis zeigt das Konzept bisher kaum eine Wirkung, da es ihm schlicht an geeigneten Anwendungsfällen fehlt. Klar: Der Bitcoin und NTF-Gemälde haben zuletzt für reichlich Schlagzeilen gesorgt und auf den Finanzmärkten ordentlich Wagniskapital aufgesaugt. Doch die lockere Geldpolitik der Zentralbanken ist spätestens seit dem Zinsgewitter Anfang Juni vorbei. Und der Bitcoin gegenüber seinem November-Hoch von 2021 um 60 Prozent eingebrochen. Dass das Metaverse mit der künstlichen Verknappung von virtuellem Land nun den unternehmerischen Durchbruch der Technologie liefert, scheint unwahrscheinlich bis naiv. Zwar mag für Metaverse-Betreiber die geschäftsmäßige Aussicht auf verknappte Gewerbeflächen und hohe Mieten attraktiv sein, doch warum Shop-Betreiber und Nutzende den Weg ins Metaverse angesichts solcher Zusatzkosten gehen sollten, bleibt unklar. Zumal die Vermietung durch Konzerne kaum noch etwas mit der Idee von Demokratisierung und Ownership tun hat.

Ein Schelm, wer Böses denkt
Um es kurz zu machen: Abgesehen von einer virtuellen 3D-Welt für VR-Liebhaber scheint das Metaverse eher noch in den technischen und betriebswirtschaftlichen Kinderschuhen zu stecken. Um den aktuellen Hype zu verstehen, sollte man deshalb lieber auf die Profiteure als auf mögliche Anwendungen blicken – sprich die Tech-Konzerne. Hier tut sich vor allem der Vorreiter Meta hervor, und zwar aus einem einfachen Grund: Dem Unternehmen geht es schlecht, da Facebook wegen rückläufiger Nutzerzahlen und politischer Verwerfungen schwächelt – Stichwort Trump-Wahl und „Facebook-Leaks“. Hinzu kommt, dass viele Wettbewerbsbehörden den Konzern stärker regulieren wollen und auch Apple die Nutzung seiner Tracking-Daten für Meta eingeschränkt hat. Das Resultat: Metas Kurswert befindet sich seit Dezember 2021 in einem Dauertief. Und da Facebook als alternde Cash Cow den Karren allein kaum aus dem Dreck wird ziehen können, hat Mark Zuckerberg frühzeitig auf ein neues Zugpferd namens Metaverse gesetzt.

Zu früh gezuckt?
Vor diesem Hintergrund lautet die Tausend-Dollar-Frage also: Wann erreicht das Metaverse endlich sein „Plateau der Produktivität“ und welche Geschäftsmodelle werden überleben? Klar: Die finale Antwort wird es erst nach dem Durchschreiten des Hype-Tals geben, zumal auch die Möglichkeit besteht, dass das Internet eine völlig andere Entwicklungsrichtung einschlägt. So sind manche Zockende zum Beispiel der Auffassung, dass das Metaverse mit dem Online-Game Fortnite bereits existiert. Und zwar in einer gewöhnlichen 2D-Animation ohne VR-Brille, dafür aber mit echten Live-Konzerten sowie „Donations“ und „Micro-Payments“ für kreative Content-Produzenten. Andere wiederum sehen im derzeitigen Audio-Trend des Internets einen ernstzunehmenden Konkurrenten des Metaverse. Und tatsächlich: Mit Bluetooth-Kopfhörern, Podcasts und Streaming-Apps erhält das Web 2.0 gerade eine zusätzliche Dimension – die Tonspur als erweiterte Realität oder „augmented reality“. Und das sogar im Hosentaschen-Format.