Ob Bundesbank, Europäische Zentralbank, Federal Reserve oder Bank of England – für die Sicherheit von Finanzmärkten spielen Notenbanken eine zentrale Rolle. Entsprechend schwer wiegt auch ihr Urteil, sollten sie sich einmal in einer Debatte zu Wort melden. So geschehen zum Beispiel im Herbst 2021, als die Notenbank der Notenbanken – die Bank für Internationalen Zahlungsausgleich (BIZ) – Anleger*innen vor der Bildung einer „grünen Blase“ bei ESG-Produkten warnte. Der Grund: Nach ihren Berechnungen ist das verwaltete Vermögen nachhaltiger Anlagen seit 2016 ungewöhnlich stark gestiegen – in etwa um den Faktor drei bzw. zehn; je nachdem, ob man den ESG-Begriff eher weit oder eng auslegt. Ein Wachstum, das seine Ursache laut Rolf Häßler auch in der Taxonomie-Verordnung der Europäischen Union hat. In einem Gespräch haben wir uns mit dem Geschäftsführer vom NKI – Institut für nachhaltige Kapitalanlagen über die Regulierung von ESG-Assets unterhalten.

Rolf, als Finanzexperte berätst du professionelle Anleger*innen bei der Einhaltung von ESG-Vorschriften. Die Idee dahinter: Mehr Geld für eine nachhaltigere Wirtschaft und eine beschleunigte Transformation. Eine gute Idee?
Vor dem Hintergrund der Pariser Klimaziele und der Dringlichkeit durch den Klimawandel halte ich die Idee einer grünen Finanzwende für sehr richtig, ja – und ich nutze dieses Wort eigentlich nie – alternativlos. Für die Transformation der Unternehmen hin zu einer klimaverträglichen und ressourcenschonenden Wirtschaft benötigen wir viel zusätzliches Kapital – allein rund 180 Milliarden Euro pro Jahr nur für die Energiewende in Europa. Dieses Geld kann angesichts klammer öffentlicher Kassen nur von privaten und institutionellen Investoren kommen. Die Taxonomie soll ihnen dabei als Kompass dienen und zeigen, wo sie ihr Kapital zielgerichtet einsetzen können.
Grüne Blase – Gefahr oder Hirngespinst?
Die BIZ hat indirekt Kritik an der Taxonomie-Verordnung geäußert, als sie Anleger vor der Bildung einer grünen Blase warnte. Teilst Du diese Einschätzung?
In Teilen ja. Wir kennen das aus dem Immobilienbereich, wo die starke Nachfrage in den vergangenen Jahren zumindest in einigen Städten zu einer Blase geführt hat. Im Hinblick auf die Transformationsfinanzierung ist dies dasselbe in grün. In unserem Fall ist das Angebot die Summe aller klimaverträglichen, also grünen, Investmentmöglichkeiten. Dieser Markt wird wiederum durch die Taxonomie definiert. Je strenger die technischen Anforderungen definiert werden, desto kleiner wird das Angebot. Da gleichzeitig viel Kapital auf der Suche nach regelkonformen Anlagemöglichkeiten ist, kann es zu Preissteigerungen oder eben zu einer grünen Blase kommen. Ein spannender, aber leider kontraproduktiver Nebeneffekt: Die sinkende Nachfrage nach Wertpapieren brauner Unternehmen macht diese für Anleger*innen attraktiver. Denn wenn ein braunes Unternehmen etwa eine Anleihe gibt, muss es wegen der geringeren Nachfrage vielleicht ein paar Basispunkte mehr Zinsen zahlen.
Auch zukünftig ist kein nachhaltiger Anleger gezwungen, in Atomkraft zu investieren.
Rolf Häßler, geschäftsführender Gesellschafter des NKI
Macht das eine Taxonomie nicht besonders schwierig?
Absolut. Der von der EU-Kommission mit der Erarbeitung und Weiterentwicklung beauftrage Expertengruppe muss jetzt einen Spagat zwischen echter Transformationsfinanzierung und Blasenbildung gelingen. Die Anforderungen etwa an die Produzenten von Zement, die chemische Industrie oder die Automobilhersteller müssen so hoch sein, dass diese bereit sind, einen echten Beitrag zur Erreichung der Pariser Klimaziele zu leisten. Gleichzeitig dürfen sie nicht dazu führen, dass es durch den Zufluss von Kapital zu einer Blasenbildung und in der Folge zu einem Zusammenbruch der Transformationsfinanzierung kommt.

Du klingst etwas skeptisch.
Ja, weil die Taxonomie gleich eine ganze Reihe von Fragen aufwirft. So führt die Definition von technischen Vorgaben wie beispielsweise Grenzwerten für Lärm- oder Schadstoffemissionen häufig dazu, dass die Anbieter die technische Entwicklung genau bis zu diesem Punkt vorantreiben – und dann stehenbleiben. Ein Grenzwert ist zwar zunächst innovationsfördernd, kann die weitere Innovation dann aber ausbremsen. Darüber hinaus werden aktuell nur solche Unternehmen als nachhaltig eingestuft, die diese hohen Standards bereits heute erfüllen. Für viele Industrien – nehmen wir hier erneut die der Zementhersteller – ist das jedoch gar nicht möglich. Dabei wäre es gerade hier wichtig, Unternehmen auf ihrem Transformationspfad zu unterstützen. Statt „grün oder nichts“ müsste die Devise also „von braun zu grün“ lauten. Die Umlenkung von Kapitalströmen, die man durch Transparenzvorschriften erreichen will, sollte also nicht nur auf grüne, sondern auch auf transformationswillige Unternehmen abzielen – und dort eine Transformation anstoßen.
Gut zu wissen: Die Abkürzung ESG steht für die englischen Begriffe Environmental, Social und Governance, was auf deutsch so viel bedeutet wie: Umwelt, Soziales und Unternehmensführung. Sie wird als weiter Begriff für CSR (Corporate Social Responsibility) verwendet. Hierbei handelt es sich um die Evaluierung der unternehmerischen Sozialverantwortung. ESG-Kriterien beschreiben also, inwiefern ein Unternehmen mit Blick auf Umwelteinflüsse, soziale Verantwortung und Managementprinzipien nachhaltig handelt.
Noch dazu hat auch die Entscheidung des EU-Parlaments, Gas und Atomkraft als klimaverträgliche Technologie in die Taxonomie aufzunehmen, für Kritik gesorgt. Zurecht?
In der Tat gab es hier massive Vorwürfe im Hinblick auf ein Greenwashing insbesondere der Atomenergie. Teilweise wurde sogar die Sinn- und Ernsthaftigkeit der Taxonomie generell in Frage gestellt. Die Kritik an der Aufnahme der umwelt- und gesundheitsgefährdenden Atomkraft in die Taxonomie ist richtig. Genauso wichtig ist es aber auch, die Auswirkungen dieser Einordnung differenziert zu betrachten. Die Experten haben in die Taxonomie nämlich pfiffige Korrekturmechanismen eingebaut, die dazu führen, dass die Atomkraft zwar als vergleichsweise klimaverträglich, aber nicht als nachhaltig eingestuft werden kann.
Hast du dafür ein Beispiel?
Einer dieser Mechanismen ist die „Do no significant harm“-Regelung, also die Vorgabe, dass eine wirtschaftliche Tätigkeit, die beispielsweise zum Klimaschutz beiträgt, gleichzeitig keinem der anderen definierten Umweltziele schaden darf. Angesichts der Auswirkungen, den etwa Atommüll auf die Umwelt hat, kann Atomkraft diese Anforderung nicht erfüllen. Der andere Mechanismus sind die ‚Social Safeguard Standards‘. Sie schreiben vor, dass bei der Erstellung der Leistung keine Arbeitsrechte verletzt werden dürfen. Wenn man an die Arbeits- und Menschenrechtsverletzungen beim Abbau von Uran denkt, kann Atomkraft auch diese Hürde nicht nehmen. Atomkraft kann daher zwar als klimaverträglich eingestuft werden, aber nicht als taxonomiekonform. Insgesamt führt die Entscheidung der EU-Kommission daher nicht dazu, dass Atomkraft drin sein muss, wo Nachhaltigkeit draufsteht. Im Gegenteil: Auch zukünftig ist kein nachhaltiger Anleger gezwungen, in Atomkraft zu investieren.

Wo Nachhaltigkeit draufsteht muss auch Nachhaltigkeit drin sein
Aber die Taxonomie soll Anleger*innen eigentlich die Identifikation von grünen Anlageprodukten erleichtern und die Bewertung nicht komplizierter machen.
Der Ansatz der EU-Kommission an sich ist richtig: Sie hat in der Offenlegungsverordnung festgelegt, dass jeder Anbieter, der damit wirbt, dass sein Fonds nachhaltig ist, auch belegen muss, auf welcher Basis er diese Aussage trifft. Eine Option dabei ist etwa, die Anleger zu informieren, in welchem Umfang der Fonds in Unternehmen oder Projekt investiert, die den Anforderungen der Taxonomie genügen. Dies setzt aber voraus, dass die Fondsanbieter wissen, in welchem Umfang einzelne Unternehmen, deren Aktien und Anleihen sie kaufen wollen, taxonomiekonforme Produkte herstellen. Diese Daten sind noch nicht umfassend verfügbar. Hier wird es neue Berichtsysteme aus der Realwirtschaft brauchen, die Anlegern die entsprechenden Daten liefern. Das gilt übrigens auch für Banken, die in diesem Jahr erstmals darüber berichten mussten, wie viele Kredite und Leistungen sie an Unternehmen vergeben, deren Produkte und Services unter die Regelungen der Taxonomie fallen.
Um an die Eingangsfrage anzuschließen: Ist die Taxonomie eine gute Idee?
Klares Ja. Ihr Ansatz ist absolut richtig. Wir dürfen aber die Erwartungen an den Finanzmarkt und die Anleger auch nicht überdehnen. Aktuell beschreitet die Politik einen Umweg, um die Klimaziele zu erreichen. Statt den in der Taxonomie genannten Branchen direkte Vorgaben für ihre Produkte zu machen, sagt sie: Lieber Anleger, schau dir an, ob ein Unternehmen Produkte herstellt, die den technischen Anforderungen der Taxonomie genügen und achte darauf, dass bei deren Erstellung keine anderen Umweltziele und Sozialstandards verletzt werden. Wenn dies der Fall ist, gib diesen Unternehmen bitte Kapital, damit sie den Wandel finanzieren können. Das Problem ist: Wenn diese Unternehmen als taxonomiekonform gelten, haben sie ihre Transformation ja schon längst durchlaufen. Deshalb wird diese Taxonomie auch nicht ausreichen, um die Klimaziele zu erreichen. Das verstärkte Engagement der Anleger und Banken für die Transformation entlässt die Politik also nicht aus ihrer Verantwortung. Die Taxonomie sollte deshalb stets im Verbund mit anderen regulatorischen Maßnahmen betrachtet werden. Der Emissionshandel beispielsweise ist eine davon.