Wie funktioniert die Blockchain, warum ist der Bitcoin antinflationär und wofür braucht man einen Distributed Ledger? Wer sich zum ersten Mal mit digitalem Geld beschäftigt, könnte von solchen Fragen schnell überfordert sein. Immerhin gehören Geldtheorie und Kryptografie nicht gerade zu den Themen, für die sich die meisten Menschen normalerweise interessieren. Für Expert*innen, wie die EZB-Chefin Christine Lagarde, spielt das allerdings keine Rolle. Von der breiten Öffentlichkeit weitestgehend unbemerkt, hat sie im Juli den Startschuss zur Einführung eines digitalen Euros gegeben. Bis spätestens 2025 soll er kommen. Dabei ist die funktionale Ausgestaltung der Technologie noch völlig offen, was Expert*innen viel Raum für Spekulationen gibt, etwa wie sich das neue Geld auf die Rolle der Geschäftsbanken auswirken könnte. Laien stellen sich dagegen ganz andere Fragen, zum Beispiel: Wozu braucht man in Zeiten von Mobile Payment und Onlinebanking überhaupt einen digitalen Euro? Was genau soll da noch digitalisiert werden?

Nur Bares ist Wahres
Eine Frage, die alles andere als trivial ist und trotzdem eine einfache Antwort hat: das Bargeld. Klingt komisch, doch Bargeld unterscheidet sich von Buchgeld, das digital auf einem Bankkonto gespeichert ist, nicht nur durch seine Materialität. Um das zu verstehen, braucht es ein kleines bisschen Geldtheorie. Genauer gesagt, geht es um den Unterschied zwischen Buchgeld von Geschäftsbanken (auch Giralgeld genannt) und Zentralbankgeld. Ein häufig unterschätztes, aber im Zweifelsfall sehr wesentliches Detail: Giralgeld wird bei der Kreditvergabe von Geschäftsbanken per Knopfdruck erzeugt und anschließend für Kunden auf einem Konto gehalten bzw. auf andere Konten weiter transferiert. Es macht den Großteil des heute im Umlauf befindlichen Geldes aus. Rein rechtlich gesehen ist es allerdings kein „echtes“ Geld, sondern stellt lediglich eine Forderung der Kund*innen gegenüber der Bank dar, sie im Zweifelsfall mit „echtem“ Geld, also Zentralbankgeld, zu versorgen. Das ist wichtig, denn sollte eine Geschäftsbank pleite gehen, ist ihr Giralgeld nichts mehr wert.

Anders ist es beim Zentralbankgeld, das in Europa durch die EZB und die Notenbanken ausgegeben wird und ausfallsicher ist (es sei denn, der Euro geht als Ganzes unter). Aus diesem Grund kommt es bei der Insolvenz von Geschäftsbanken auch zum sogenannten Bankansturm (engl.: bank run): Die Kund*innen stürmen die Bank und wollen ihr Giralgeld in Bargeld wechseln, das bislang das einzige Zentralbankgeld ist, das Privatpersonen und Unternehmen besitzen können. Die Verwahrung von Zentralbankgeld auf einem Konto bei der EZB ist dagegen nur Geschäftsbanken möglich, die auf diese Weise ihre Mindesteinlagen hinterlegen. Ein Zustand, der wenig zeitgemäß erscheint und deshalb mit dem digitalen Euro abgeschafft werden soll. Zumal digitale Technologien auch völlig neue Geldeigenschaften ermöglichen würden, wie Smart Contracts oder dezentrale Kassenbücher. Doch welche Auswirkungen hätten solche technologischen Änderungen auf die Funktionsweise des Geldsystems?
Geschäftsbanken am Scheideweg
Genau das will die EZB in den kommenden Jahren mit verschiedenen Tests herausfinden. Dabei hält sie sich noch offen, ob am Ende ein zentral oder dezentral verwaltetes System, eine Blockchain oder der EZB-eigene Zahlungsdienst TIPS (TARGET Instant Payment Settlement) steht. Klar ist nur, dass der digitale Euro den „Bedürfnissen der Menschen in Europa“ gerecht werden sowie „rechtswidrige Aktivitäten“ und „unerwünschte Auswirkungen auf die Finanzstabilität und die Geldpolitik“ verhindern soll. Um das zu gewährleisten, will sie sich mit den verschiedenen Interessensgruppen absprechen, also den Geschäftsbanken, Unternehmen und Privatpersonen. Letztere dürften dabei die geringsten Ansprüche stellen, denn für sie ändert sich laut Christopher Weßels, Blockchain-Experte bei der Fiducia & GAD, voraussichtlich nur sehr wenig: „Der Vorteil der Ausfallsicherheit dürfte für normale Bürger*innen im Zahlungsalltag kaum eine Rolle spielen und die Gefahr einer Überwachung von Transaktionen ist aufgrund des Datenschutzes auch gering.“ Zwar wäre ein digitaler Euro nicht so anonym wie Bargeld, da Übertragungen von digitalem Geld immer in einem Register erfasst werden müssen. Dennoch räumt die EZB dem Schutz der Privatsphäre eine sehr hohe Priorität ein.

Für die Geschäftsbanken könnte es allerdings deutlich weitreichendere Änderungen geben. „Wäre es für Privatpersonen und Unternehmen künftig möglich, ihr Bargeld digital auf EZB-Konten zu verwahren, würden die Geschäftsbanken an Einlagen verlieren, die sie allerdings brauchen, um ihre Kredite abzusichern. Gleichzeitig bestünde die Gefahr, dass die EZB ihren Zugang zu den Privathaushalten und Unternehmen ausnutzt, um die Geldmenge und -verteilung direkt zu steuern“, erklärt Weßels. Derzeit kann die EZB das nur über den Umweg der Geschäftsbanken: Entweder indem sie den Leitzins und damit den Preis für neues Geld verändert oder indem sie den Geschäftsbanken Vermögenswerte wie Staatsanleihen abkauft, wodurch diese mehr Zentralbankgeld und damit größere Kapazitäten für die Kreditvergabe erhalten. Zwischen der EZB und den Geschäftsbanken deutet sich hier ein Interessenkonflikt an: Während erstere die Chance sieht, ihr geldpolitisches Arsenal um eine wirkungsvolle Waffe zu erweitern, besteht für letztere die Gefahr, einen wichtigen Teil ihres Geschäftsmodells zu verlieren.
Infrastruktur und Smart Contracts
Doch wie realistisch ist ein Szenario, bei dem die EZB derart in die Arbeitsweise der Banken eingreift? „Den jüngsten Äußerungen der EZB zufolge sollen beim digitalen Euro auch das Geschäftsmodell und die Einschätzungen der Intermediäre im Geldsystem berücksichtigt werden. Die Gefahr einer Aushebelung der Geschäftsbanken besteht also nicht“, sagt Weßels. Er hält es für wahrscheinlich, dass die Geschäftsbanken künftig verschiedenste Aufgaben beim Betrieb der Infrastruktur, der Durchsetzung von Regularien und dem Kundenzugang übernehmen könnten. Hier soll laut EZB ein möglichst sicheres, schnelles und energieeffizientes System bereitgestellt werden. „Ein dezentrales Kassenbuch, wie es eine Blockchain bietet, wäre hierfür genauso geeignet wie der bisherige Euro-Zahlungsdienst TIPS. Wohin die Reise bei der Infrastruktur geht, ist derzeit also noch völlig offen“, so Weßels.

Unklarheiten gibt es auch bei der Programmierbarkeit des digitalen Euros, da die EZB noch nicht festgelegt hat, wie sie die neue Technologie genau umsetzen will. Dabei ist die Programmierbarkeit vor allem für Unternehmen von großem Interesse. Auch Weßels sieht hier einen großen Vorteil: „Mit einem Distributed Ledger entsteht die Möglichkeit, digitale Prozesse mit digitalen Transaktionen zu verschmelzen. Als Unternehmen könnte man seinem Geld dann die unterschiedlichsten Eigenschaften einprogrammieren, etwa das ein Lieferant bei Wareneingang automatisch eine bestimmte Summe überwiesen bekommt. Ein Feature, das vor allem in Hinblick auf IoT-Anwendungen in der Industrie ein großes Potenzial mit sich bringt.“ Zusammen mit der entsprechenden Sensorik und Vernetzung könnten völlig neue Bezahlmodelle entstehen. Kommt es beispielsweise bei einer Lieferung zu Unterbrechungen in der Kühlkette, könnte diese Information automatisch registriert und verrechnet werden. Allerdings ist bisher noch nicht klar, ob Unternehmen diese Programmierarbeit künftig auf einem dezentral verwalteten Kassenbuch selbst vornehmen oder ob Banken dabei auch eine Rolle spielen. Insgesamt kommt Weßels beim Blick auf den digitalen Euro deshalb auch zu folgender Einschätzung: „Der digitale Euro wird für Unternehmen und Banken eine viel größere Rolle spielen als für normale Bürger*innen. Als IT-Dienstleister der Volks- und Raiffeisen-Banken verfolgen wir dieses Zukunftsthema sehr genau und arbeiten hier mit der DZ Bank und dem Bundesverband der Deutschen Volksbanken und Raiffeisenbanken eng zusammen.“