
Alle reden vom Bitcoin, doch das digitale Gold liegt in der Halbleiterindustrie. Derzeitige Lieferschwierigkeiten zeigen: Ohne die kleinen Hightech-Chips stottert die Wirtschaft, drohen Milliardenverluste und entzünden sich globale Handelskriege. Der Grund: Halbleiter sind der Schlüssel zur industriellen Revolution 4.0, der physische Träger, auf dem sich das Internet der Dinge (IoT) gerade aus den Rechenzentren in unsere Städte und Fabriken, Wohnzimmer und Hosentaschen ausbreitet. Ob autonomes Fahren, intelligente Logistik oder Smart Factory – mit Mikrochips sollen künftig nicht mehr nur Datenströme, sondern ein ganzes Heer an Autos, Robotern, Drohnen, Paketen und Elektrogeräten bewegt werden. Eine technologische Entwicklung, die man auch als taktiles Internet bezeichnet und für die die kleinen Alleskönner genauso wichtig sind, wie für die Künstliche Intelligenz in unseren Smartphones oder den Aufbau einer dezentralen Edge Cloud. Der Spruch von „5G an jeder Milchkanne“ – dank Mikrochips ist er realistisch, denn sie können den Mobilfunkstandard der Zukunft überall hinbringen.
Flaschenhals bis Mitte 2022
Aufgrund von Lieferschwierigkeiten fehlen die kostbaren Halbleiter derzeit allerdings an allen Ecken und Enden. Bei Autobauern und Elektronikherstellern kam es deshalb in den vergangenen Monaten immer wieder zu Produktionsstopps. So sind bei Renault aufgrund fehlender Halbleiter in diesem Jahr insgesamt etwa eine halbe Million Autos weniger vom Band gelaufen als geplant. Beim Opel-Mutterkonzern Stellantis wird die Zahl sogar auf rund 1,4 Millionen Neuwagen geschätzt, während Volkswagen allein im dritten Quartal 2021 ganze 600.000 Autos nicht ausliefern konnte.

Auch der Hightech-Gigant Apple ist betroffen und soll mit Produktionsausfällen von rund zehn Millionen iPhones für 2021 rechnen, wie Bloomberg berichtet. Die daraus resultierenden Umsatzeinbußen sind enorm, zumal die noch verfügbaren Chips aufgrund des Nachfrageüberhangs immer teurer werden. So gab es zum Beispiel zwischen August und Oktober einen Preisanstieg von fast 400 Prozent bei chinesischem Silizium, dem wichtigsten Material für die Halbleiterproduktion.
Eine Entspannung der Lage ist nicht in Sicht. Vielmehr gehen Expert*innen davon aus, dass der Flaschenhals noch bis Mitte 2022 anhalten wird. Der Hintergrund: Während in vielen westlichen Industrienationen die Impfquoten hoch, die Fabriken offen und die Chip-Kapazitäten voll ausgeschöpft sind, müssen anderswo immer wieder Häfen und Produktionsstätten geschlossen werden, was in der Branche zu einem starken Ungleichgewicht zwischen Angebot und Nachfrage führt. Neben diesen coronabedingten Einmal-Effekten existiert allerdings auch ein strukturelles Problem: die extrem fragilen Wertschöpfungsketten der Halbleiterindustrie. Grund dafür ist die Komplexität der kleinen Mikrochips, die zu einer sehr hohen Spezialisierung und globalen Vernetzung von Produktionsstandorten geführt hat – auch über politische Grenzen hinaus.
Wie funktionieren Chips und Halbleiter?

Im Kern bestehen Mikrochips aus kleinen Plättchen (Wafern) von wenigen Millimetern Größe, die sich aus verschiedenen Schichten von Halbleitermaterialien zusammensetzen. In sie werden mittels Lackierung, Belichtung und Ätzung dreidimensionale Strukturen (Schaltkreise) eingeschrieben. Die funktionalen Grundbausteine dieser Schaltkreise sind sogenannte Transistoren, deren Größe in den vergangenen Jahrzehnten auf ein unvorstellbar kleines Ausmaß geschrumpft ist. So kommen bei den derzeit führenden 7-Nanometer-Chips ganze 100 Millionen Transistoren auf nur einen einzigen Quadratmillimeter Fläche. Die Anordnung der Transistoren – auch Design genannt – unterscheidet sich dabei je nach Funktion des Chips. Ein wichtiger Trend bei den Designs sind sogenannte Ein-Chip-Systeme (System-on-a-Chip). Mit ihnen lassen sich verschiedene Speicher- und Rechenfunktionen auf einem Chip integrieren, der – verbaut mit der entsprechenden Sensorik – aus einem gewöhnlichen Alltagsgegenstand im Handumdrehen ein smartes IoT-Gadget macht. Da die Anforderungen eines Smartphones oder autonomen Fahrzeugs jedoch völlig andere sind als die eines smarten Kühlschranks oder Postpakets, müssen die Designs immer stärker auf ihre Anwendungsbereiche angepasst werden.

Vor diesem Hintergrund steigt die Relevanz sogenannter KI-Chips. Aktuelle Schätzungen gehen davon aus, dass sich ihr weltweiter Umsatz 2021 verdoppeln und zwischen 2018 und 2022 gar vervierfachen wird. Der Grund: Mit KI-Chips lassen sich große Datenmengen schnell und effizient verarbeiten, was für die Sensorik und Steuerungsaufgaben der IoT-Geräte sehr wichtig ist. Die Fertigung solcher Chips setzt allerdings hohe Investitionen in Forschung und Entwicklung voraus und bedarf neuester Chip-Fabriken, deren Maschinen sehr teuer sind. Eine Maschine des niederländischen Herstellers ASML für die Massenfertigung von KI-Chips kostet zum Beispiel um die 120 Millionen Euro. Solche Investments können sich nur die größten Produzenten leisten, wie beispielsweise TSMC oder Samsung. Anders als ASML sitzen die jedoch nicht in den Niederladen, sondern in Taiwan und Südkorea. Und hier kommt nun die Politik ins Spiel, die sich aufgrund der hohen strategischen Relevanz der Technologie immer wieder in die Geschicke der Halbleiterindustrie einmischt – im Guten wie im Schlechten. In Teil zwei unserer Halbleiter-Serie werfen wir deshalb einen Blick auf globale Handelskriege, digitale Souveränität und den Aufbau einer „End-to-End-Lösung“.