Im Frühjahr 2020 stellte das Coronavirus die Welt mit einem Mal auf den Kopf: Innerhalb weniger Tage wurde das öffentliche Leben heruntergefahren und der Lebensmittelpunkt auf das Sofa verlegt. Eine gute Gelegenheit, um sich einmal mit anderen Dingen zu beschäftigen, wie zum Beispiel der eigenen Altersvorsorge. Ein Griff zum Smartphone reicht bereits aus: Trading-Apps machen’s möglich. Zumal der coronabedingte Konsumverzicht nicht selten zu ersten Ersparnissen geführt hatte.
Der Corona-Trading-Boom
So haben 2020 allein in Deutschland knapp 600.000 unter 30-Jährige das erste Mal in Aktien investiert, wie das Deutsche Aktieninstitut berichtet. Im Vergleich zu 2019 machte das eine satte Steigerung von 13 Prozent aus. Die niedrigschwelligen Angebote der Trading-Apps dürften dabei eine wichtige Rolle gespielt haben. Anders als die Broker von etablierten Banken sind sie extrem einfach in der Handhabung und setzen so gut wie keinerlei Finanzwissen voraus. Als sich die Aktienkurse nach einem ersten Corona-Tief im Frühjahr wieder erholten, schlug ihre Stunde. Ein regelrechter Trading-Hype setzte ein, bei dem keiner den Boom an den Aktienmärkten verpassen wollte. Ein klassischer Fall von „FOMO“ (fear of missing out), um es in der Sprache der Millennials zu sagen.

Profiteure des Hypes waren vor allem die Neobroker Robinhood (USA) und Trade Republic (Deutschland). Mit fast gebührenfreien Angeboten haben sie sich die Demokratisierung des Tradings auf die Fahne geschrieben. Ob ernstgemeintes Ziel oder geschicktes Marketing – klar ist, dass die Neobroker eine radikale Wachstumsstrategie fahren. Dabei finanzieren sie sich vor allem über Investor*innenund Rückvergütungen der Börsenplätze, über die sie ihren Handel abwickeln. Bei manchen Anbietern besteht ein wichtiger Teil des Geschäftsmodells aus sogenannten Gamification-Elementen, die Neulinge spielerisch an die Finanzmärkte heranführen sollen. Eine umstrittene Praxis, da sie vor allem kurzfristiges Anlageverhalten fördert, womit für gewöhnlich nur die allerwenigsten Anlegenden Gewinne machen.
Dass es jedoch auch anders gehen kann, zeigen Alternativen wie die deutsche Trading-App Smartbroker. Sie wendet sich eher an fortgeschrittene Trader*innen und bietet Kund*innen die Möglichkeit, sich telefonisch beraten zu lassen. Ein wichtiger Service, da das Bedürfnis nach Beratungen auch unter jungen Trader*innen vorhanden ist, wie Gründer Thomas Soltau in FINTROPOLISberichtet. Der Erfolg von Smartbroker gibt ihm recht: Bei seiner Gründung Ende 2019 beschäftigte das Unternehmen etwa 20 Personen, heute sind es 130. Das zeigt, dass der Trading-Hype nicht nur Zocker und Flashmob-Trader*innen an die Börse gebracht hat, auch wenn die breite Öffentlichkeit seit dem Gamestop-Fall ein etwas anderes Bild haben dürfte.

Dass es unter den neuen Anlegenden durchaus eine größere Vielfalt gibt, bestätigt auch die Anfang 2021 gegründete Finanz-App Alice. Mit Trading-Angeboten und der Vermittlung von Finanzwissen richtet sie sich an ein vornehmlich weibliches Publikum. Für Gründerin Andrea Fernandez ein dringend benötigter Schritt, denn unter Anlegenden ist der Frauenanteil noch immer sehr gering. Dabei wäre ein hohes Maß an finanzieller Unabhängigkeit für Frauen besonders wichtig – nach wie vor verdienen Frauen oft weniger Geld als ihre männlichen Kollegen oder sind aufgrund einer Elternzeit eher von einer Auszeit betroffen. Wie sie Frauen dabei helfen kann, in Sachen finanzieller Unabhängigkeit nachzulegen, hat sie bei FINTROPOLIS und in dem „Finance Forward-Podcast“ mit Caspar Schlenk erklärt.
Der Kuchen wird aufgeteilt
Mit Blick auf die letzten anderthalb Jahre lässt sich also festhalten, dass Corona einen Generationswechsel auf dem Trading-Markt eingeläutet hat. Bisher haben davon in erster Linie die Neobroker profitiert. Das wirft die Frage auf, wie die etablierten Player, etwa die Deutsche Bank oder ING-DiBa, sich nun verhalten werden. Nicht wenige sehen in der neuen Konkurrenz eine große Gefahr für das Trading-Geschäft der Banken. Doch das Angebot der Neobroker richtet sich nicht an Gesamtmarkt, sondern vorwiegend an junge, finanzaffine Nutzer*innen mit hoher Selbstständigkeit.

Das gilt auch für die Finanz-App Smartbroker, wie Geschäftsführer Thomas Soltau im Interview erklärt. Das Geschäftsmodell der Banken basiert dagegen auf Beratung und Vertrauen. Ihre Kund*innen sind die Durchschnittsbürger*innen, die sich bei Fragen oder Schwierigkeiten mit einem Berater oder einer Beraterin persönlich austauschen wollen. Und dafür auch bereit sein dürften, einen kleinen Preisaufschlag zu zahlen. Eine Zielgruppe, die in Deutschland in Sachen Trading bisher kaum erschlossen wurde und damit ein großes Potenzial in sich trägt. Dieses Marktsegment birgt für die etablierten Anbieter eine große Chance.
Wer hier Fuß fassen will, sollte in den kommenden Jahren ein breites Portfolio an Dienstleistungen entwickeln. Denn die Vielfalt der Kund*innen in der Masse ist groß. Von kleineren Investitionsmengen bis zu großen Vermögen mit umfassenden Beratungsbedarf ist alles dabei. Um hier ein tragfähiges Geschäftsmodell für alle Kund*innen anbieten zu können, müssen die Banken ihre Dienstleitungen individuell anpassen. Robo Advisorskönnen dabei eine große Hilfe sein. Mit ihnen lassen sich individuelle Sparpläne und langfristige Anlagestrategien entwickeln, ohne hohe Kosten für Kund*innen zu verursachen. Ein nachhaltiges Geschäftsmodell, denn Kund*innen, die langfristig investieren, bleiben dem Unternehmen auch langfristig erhalten. Ein Experte, der zu diesem Ansatz rät, ist Dr. Olaf Zeitnitz von VisualVest, dem Anlageportal von Union Investment. Mit seinem Unternehmen kombiniert er die smarten Hilfsmittel des Robo Advisors mit der langjährigen Erfahrung von Union Investment.
Im Fahrwasser der Werbetrommel
Für Caspar Schlenk ist klar, dass die Neobroker ihren Wachstumspfad in Zukunft weiter fortsetzen werden. Immerhin ist das Rennen um die Marktführerschaft im App-Segment noch lange nicht gewonnen, auch wenn Trade Republic und Scalable Capital bereits mit neue Finanzspritzenbekommen haben. In den kommenden Jahren werden sie voraussichtlich kräftig die Werbetrommel rühren. Wie das aussieht, hat Trade Republic vor Kurzem gezeigt, als das Fintech für seine neue Trading-App Plakatwände bekleben ließ.

Derartige Marketingmaßnahmen könnten die Sichtbarkeit und die Nachfrage von Trading-Dienstleistungen künftig weiter erhöhen – und eine Differenzierung im Markt nach sich ziehen. Im Fahrwasser dieser Entwicklung werden auch die etablierten Banken mitschwimmen und dabei von ihrem Ruf als vertrauensvolle Finanzpartner profitieren können. Dabei ist davon auszugehen, dass die Banken die Verzahnung von Beratung und Anlagegeschäft stark vorantreiben werden. Die Neobroker können nicht den ganzen Markt versorgen, sondern müssen sich eine eigene Nische schaffen.