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Banken

Die Revolution des Kunstmarkts

Zwischen Umsatzkrise und Online-Boom zwingt Corona die Kunstbranche zur Flucht nach vorne. Ein Traditionsmarkt im Wandel.
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Photo by Felicity Tai on Pexels
16.06.2021

Zwischen Kunst- und Aktienmarkt gibt es viele Parallelen: Das zeigt sich ganz besonders in schwierigen Zeiten. Doch nicht alle Krisen sind gleich, wie die Coronapandemie beweist. Wie sie den internationalen Kunstmarkt auf den Kopf stellt, erfahrt ihr hier.

Sportwagen, Luxusuhren und extravagante Kunst. Das Klischee des weltgewandten Investmentbankers ist weit verbreitet, der in seiner Freizeit sündhaft teure Gemälde und Skulpturen sammelt. Schillernde Persönlichkeiten, wie der amerikanische Wall-Street-Banker Donald B. Marron, dienen hier als Vorlage. Der Milliardär galt viele Jahre als einer der wichtigsten Förderer der New Yorker Kunstszene und genoss einen internationalen Ruf als anspruchsvoller Sammler mit einem besonderen Gespür für die Trends seiner Zeit. Als er 2019 im Alter von 85 Jahren starb, hinterließ er eine Kunstsammlung im Wert von etwa 450 Millionen Dollar, die den Kunstmarkt weltweit in Aufruhr versetzte.

Blue Chips und Emerging Artists

Das Beispiel von Donald B. Marron zeigt, wie eng das finanzielle Kapital mit dem kulturellen Kapital verwoben ist. Klar ist: Kunst ist ein ästhetisches Erlebnis. Darüber hinaus aber auch ein Statussymbol und Spekulationsobjekt. Denn mit Kunst lässt sich hervorragend Geld verdienen. Zumindest wenn man das richtige Händchen für junge und wachstumsstarke Künstler*innen hat. In der Szene werden sie gerne auch als „Emerging Artists“ bezeichnet. Eine Anlehnung an den Begriff „Emerging Markets“, der in der Finanzwelt für Schwellenländern benutzt wird. Emerging Artists werden für gewöhnlich in kleineren Galerien gehandelt, den Brutstätten der zeitgenössischen Kunst. Sie sind so etwas wie die Gatekeeper, die Kunstwerke erstmals in den Markt einzuführen – ein sogenannter Primärmarkt.

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Nur Künstler*innen, die hier eine gewisse Nachfrage erzielen können, schaffen es auch auf den Sekundärmarkt – das sind die großen Kunstmessen, wie in Deutschland die Documenta, oder namhafte Auktionshäuser, wie Christie‘s oder Sotheby‘s. Hier treffen Kunstwerke aus aller Welt auf ein internationales und finanzstarkes Publikum von Händler*innen, Sammler*innen und Investor*innen. Zu den wirtschaftlich erfolgreichsten Künstler*innen auf dem Sekundärmarkt zählen große Namen wie Pablo Picasso, Gerhard Richter oder Jeff Koons. Ihre Werke erzielen Erlöse von bis zu 179 Millionen Dollar, wie im Fall von Picassos „Les femmes d’Alger“.

Da ihre Kunstwerke als besonders wertstabil gelten, werden sie von Sammler*innen auch als Blue Chips bezeichnet. Eine weitere Referenz auf den Finanzmarkt, wo man die Aktien von umsatzstarken Großunternehmen mit demselben Namen versieht. Hier zeigt sich deutlich: Aus der Perspektive von Investor*innen ist Kunst eine Assetklasse. Zwar eine etwas ungewöhnliche, da der Kunstmarkt allgemein deutlich intransparenter und schwerer zu bewerten ist als Aktien, Immobilien oder Währungen. Manche Schätzungen gehen sogar davon aus, dass jedes dritte Kunstwerk gefälscht ist. Dennoch gilt auch auf dem Kunstmarkt der Mechanismus von Angebot und Nachfrage, was ihn den gleichen konjunkturellen Schwankungen aussetzt wie alle anderen Assetklassen auch.

Große Krisen, große Vermögen

So haben Krisen auf den Aktienmärkten in der Vergangenheit stets auch zu Krisen auf dem Kunstmarkt geführt. Ob das Platzen der Dotcom-Blase Anfang 2000 oder die Finanzkrise von 2008 – fallen die Preise auf dem Börsenparkett, fallen sie wenig später auch in den Auktionshäusern und Galerien. Grund dafür ist die allgemeine Unsicherheit, die mit Finanzkrisen einhergeht und die zu einem konservativen Verhalten bei Anleger*innen führt. Besonders eindrücklich hat das die Finanzkrise 2008 gezeigt. Vor ihr sprudelte auf dem Kunstmarkt noch das große Geld, 2007 ging als das „Boom-Jahr“ in die Geschichte ein.

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Doch 2008 kam es auf den Kunstmärkten zu einem plötzlichen Nachfrageschock, da durch die Finanzkrise auch Vermögensanteile wichtiger Kunstsammler vernichtet wurden. Der daraus resultierende Nachfragerückgang ließ die Preise schlagartig sinken, was seinerseits zu einem starken Einbruch auf der Angebotsseite führte. Nach Preissteigerungen von durchschnittlich rund 18 Prozent in den Jahren vor der Krise, fielen die Preise zwischen 2008 und 2009 erstmals wieder deutlich - bei zeitgenössischer Kunst um 40 bis 50 Prozent.

Corona als Krise und Katalysator

Einen ähnlichen Schock erlebte der Kunstmarkt auch während der Coronapandemie. So ging der weltweite Umsatz mit Kunstgegenständen im Jahr 2020 um insgesamt 22 Prozent von 64,4 Milliarden auf 50,1 Milliarden US-Dollar zurück. Zahlen, die die Art Basel, die größte Kunstmesse der Welt, jedes Jahr zusammen mit der Schweizer Großbank UBS errechnet. Sie zeigen deutlich: Corona hat dem Kunstmarkt einen ähnlich harten Schock verpasst, wie die Finanzkrise von 2008. Dennoch ist diesmal einiges anders.

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So attestierten Beobachter*innen dem Kunstmarkt auch während der Pandemie eine unverändert hohe Nachfrage. Der Grund: Anders als 2008 erlebte die Börse nach einem kurzen Einbruch einen regelrechten Boom. Selbst risikoreiche Anlagen wie Kryptoassets erhielten einen immensen Zulauf. Die Galerien und Kunstmessen blieben aufgrund der coronabedingten Einschränkungen dagegen leer. Corona als Brennglas – das gilt auch in Hinblick auf die Kunstbranche, die sich einer dringend benötigten Digitalisierung bisher weitestgehend verwehrt hatte. Der Grund: Die physische Präsenz eines Kunstwerks spielt in der Branche eine wichtige Rolle, weshalb die internationale Szene alljährlich wie eine große Karawane über sämtliche Messen zwischen Hongkong und New York pilgert.

Doch aufgrund des großen Digitalisierungsdrucks während der Pandemie könnte sich das nun ändern. So zwang das Virus Auktionshäuser zu Live-Streams im Internet sowie Messen und Galerien zu sogenannten Online-Viewing-Rooms. Wer sich auf den Online-Handel einließ, konnte trotz der insgesamt schwierigen Phase mit hohen Einnahmen rechnen. Dabei liefen bewährte Marken und digitale Künstler*innen besonders gut. Allein der Verkauf eines Picasso-Gemäldes erzielte im Frühjahr 2021 satte 103 Millionen US-Dollar, andere Blue Chips wie David Hockney oder Andy Warhol erzielten ebenfalls hohe Preise. Online-Künstler*innen erlebten ihren großen Durchbruch: Der amerikanische Grafikdesigner „Beeple crap“ versteigerte bei Christie’s erstmals ein sogenanntes NFT (Non-Functional-Token). Bei der Online-Auktion, die einen Erlös von rund 69 Millionen Dollar erzielte, schauten etwa 22 Millionen Menschen zu. Davon waren rund zwei Drittel jünger als 50 Jahre – untypisch für die traditionsreiche Branche. Insgesamt überstieg die Zahl der Internetauktionen 2020 erstmals die der Präsenzveranstaltungen und verdoppelte ihre Umsätze auf etwa 12,4 Milliarden Dollar.

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Gewinner und Verlierer

Damit lässt sich zusammenfassen: Nach etwa eineinhalb Jahren der Krise hat der Kunstmarkt innerhalb kürzester Zeit einen enormen Wandel durchlaufen. Zwischen Umsatzeinbrüchen und Online-Boom ist die Branche gerade dabei, neue Kunstschaffende und Käuferschichten für sich zu entdecken. Ein Trend, von dem vor allem die großen Auktionshäuser mit ihren Online-Veranstaltungen profitieren. Doch es gibt auch Verlierer. Dies sind vor allem die kleinen Galerien, die ihren Umsatz für gewöhnlich im Einzelhandel machen und mit ihren Online-Angeboten weitaus weniger Menschen erreichen. Viele von ihnen kämpfen während der Pandemie um ihr Überleben. Ein Trend, den es in ähnlicher Weise auch auf den Aktienmärkten gibt, wo Online-Riesen wie Amazon gegenüber dem Einzelhandel enorm profitierten.

16.06.2021