Ähnlich wie bei einer Lawine reichen an der Börse kleinste Ereignisse aus, um heftige Kursbewegungen loszutreten. So geschehen am 5. Februar 2018, als der Dow Jones wie aus heiterem Himmel fast 1.600 Zähler verlor – damals der nach Punkten größte Kurseinbruch in der Geschichte des US-Leitindex. Oder am 6. Mai 2010, als die Aktien einiger US-Unternehmen schlagartig um bis zu 99 Prozent nach unten schnellten. Kurzfristige Talfahrten, die keinen erkennbaren Zusammenhang mit der Realwirtschaft hatten. Vielmehr schienen sich die Kurse auf gespenstische Weise verselbstständigt zu haben. Erst nach längeren Untersuchungen wurde klar: Die Ursache für die Turbulenzen waren sogenannte Flashtradende.
Geschäfte unterhalb der Wahrnehmungsschwelle

Flashtradende sind Börsenhandelnde mit Hochleistungscomputern, die innerhalb von Millisekunden große Mengen an Wertpapieren an- und verkaufen, um aus kleinsten Kursschwankungen Geld zu machen. Zu ihnen gehören große Vermögensverwaltende, wie der Hedgefonds Citadel, aber auch kleinere Finanzdienstleistende. Die nötige Technik erhalten sie von spezialisierten IT-Unternehmen. Schätzungen, beispielsweise von der Federal Reserve Bank of Chicago, gehen davon aus, dass Flashtradende an etwa 70 Prozent aller Börsengeschäfte beteiligt sind. Da sie ihre Deals jedoch derart schnell abwickeln, dass andere Marktteilnehmende sie schlicht nicht wahrnehmen können, fehlen zuverlässige Zahlen. Möglich wird der Hochfrequenzhandel durch die Nutzung neuester Informations- und Kommunikationstechnologien sowie ausgeklügelter Algorithmen. Im vollständig computerisierten Börsenhandel verschaffen sich die Computer der Blitz-Tradenden so einen Wissensvorsprung von wenigen Tausendstelsekunden, mit dem sich viel Geld verdienen lässt.
Beispielsweise durch Arbitragegeschäfte, bei denen kleinste Preisunterschiede zwischen verschiedenen Handelsplätzen ausgenutzt werden, um risikolose Kursgewinne einzustreichen. Ein anderer, deutlich komplizierterer Weg wird als Spoofing bezeichnet. Hier platzieren die Flashtradenden riesige Kauf- oder Verkaufsorders in den Auftragsbüchern der Börse, nur um sie kurz vor ihrer Ausführung wieder zurückzuziehen. Auf diese Weise verursachen sie Kursschwankungen, die sie in der Folge für sich ausnutzten. Auch der historische Flashcrash vom 6. Mai 2010, bei dem innerhalb weniger Minuten Marktwerte in Höhe von rund einer Billion US-Dollar vernichtet wurden, konnte auf diese Praxis zurückgeführt werden. Ausgangspunkt dabei war das Spoofing eines einzelnen Privathandelndens.

Auch beliebt: Das Überschwemmen einer Börse mit unzähligen Aufträgen, sodass die Computer der anderen Handelnden in einer Flut von Informationen untergehen und die Flashtradenden kostbare Zeit gewinnen (Quote Stuffing). Da solche Handelspraktiken den Markt jedoch auf gefährliche Weise beeinflussen, werden sie von den meisten Börsen verboten. Doch die Machenschaften der Flashtradenden lassen sich nur schwer kontrollieren, da sie häufig eigene Infrastrukturen nutzen.
300 Millionen für drei Millisekunden
In ihre Highspeed-Verbindungen und Supercomputer investieren Flashtradende enorme Summen. So soll zum Beispiel ein Glasfaserkabel, das 2010 auf dem kürzesten Weg zwischen Chicago und New York verlegte wurde, ganze 300 Millionen US-Dollar gekostet haben. Für das Projekt mussten laut Recherchen des Wirtschaftsjournalisten Michel Lewis etwa 200 Bauarbeitende eine Verbindung von 1.331 Kilometern durch die amerikanische Landschaft buddeln, ohne dass irgendjemand wissen durfte, was es mit der Aktion auf sich hatte. Am Ende verschaffte das Kabel seinen Nutzenden einen Zeitvorsprung von drei Tausendstelsekunden. Genug für die Flashtradenden, um schnelles Geld zu machen.

Doch es dauerte nicht lange, bis die Konkurrenz von dem Kabel Wind bekam und ihrerseits nachlegte. Ein Wettlauf um Millisekunden, bei dem immer aufwendigere Technologien zum Einsatz kommen. So nutzen Flashtradende heute extrem teure Vakuumkabel oder schicken ihre Daten gleich mittels elektromagnetischer Wellen von einem Rechenzentrum zum anderen. Da diese Technologien allerdings sehr störungsanfällig sind, müssen sie immer wieder verstärkt werden, was die Kosten weiter in die Höhe treibt. Gleiches gilt auch für den Einsatz von Laserkanonen – der neuste Trend der Highspeed-Datenübermittlung. Bestehend aus einem Sender mit Laserkanone und einem optischen Empfänger sind sie dazu in der Lage, Signale über kurze Distanzen mit Lichtgeschwindigkeit auszutauschen, die dann wieder in elektronische Daten übersetzt und per Kabel weitertransportiert werden. So vermeiden sie unter anderem umständliche Kabelführungen, die in größeren Städten ansonsten unumgänglich wären. Eine Technologie, die man sich von US-Kampfjets abgeschaut hat, die auf diese Weise bei Überschallgeschwindigkeit miteinander kommunizieren. Betrieben wird eine solche Einrichtung zum Beispiel zwischen den Rechenzentren der New York Stock Exchange und der New Yorker Technologiebörse Nasdaq.

Nicht ganz so ausgefallen wie die Laserkanonen ist das Konzept der Co-Location. Hierbei wird versucht, die Distanz zu einem Handelsplatz so gut es geht zu minimieren. Im Idealfall bedeutet das, dass ein Flashtrader seinen Router direkt neben den Zentralrechner eines Handelsplatzes stellt. Das Resultat: Endlos steigende Mietpreise in den Rechenzentren.
Wem nützt das alles?
Für die Flashtradenden liegt der Vorteil auf der Hand: Satte Gewinne ohne viel Risiko. Positiv für die Allgemeinheit: Der Arbitragehandel hilft dabei, Preisdifferenzen zwischen Börsen schneller auszutarieren. Demgegenüber stehen deutliche Nachteile für viele andere Handelnde, die das Geschäft der Hochfrequenzhandelnden unfreiwillig mit kleinen Preisaufschlägen finanzieren müssen. Ganz zu schweigen von den vielen Handelspraktiken, bei denen Flashtradende ihre Wettbewerber auf strafbare oder zumindest fragwürdige Weise zu täuschen versuchen. Und den verheerenden Flashcrashs, zu denen das führen kann. Aus gesamtwirtschaftlicher Sicht ist das Ganze also durchaus kritisch zu beurteilen.

Viele Regierungen haben deshalb bereits erste Gesetzesinitiativen auf den Weg gebracht, wie auf EU-Ebene das Hochfrequenzhandelsgesetz von 2013 oder die MiFID-II-Regeln von 2018. Auch könnten Finanztransaktionssteuern die Anreize für die schnellen Zwischenhandelnden senken. Doch Flashtradende sind einfallsreich und suchen sich immer wieder neue Wege, um ihre Zeitvorsprünge auszunutzen. Wer den Wettlauf um Millisekunden von vornherein ausschließen will, muss deshalb direkt bei der Hardware ansetzen, wie es die Anti-Flash-Börse Investors Exchange aus New York vormacht. Mit kilometerlangen Spulen verzögert sie alle Signale, die auf ihrem Handelsplatz eintreffen, sodass dem Hochfrequenzhandel ein Riegel vorgeschoben wird. Entschleunigung im auch ohne Flashtrading schon hektischen Börsengeschäft – ob dieses Beispiel Schule macht?