Ob in Smartphones, Fabriken, Autos, Fernsehern oder Kaffeemaschinen – Mikrochips sind der Schlüssel zum taktilen Internet und der physische Träger der industriellen Revolution 4.0. Kaum ein Elektrogerät, in dem die kleinen Alleskönner nicht verbaut sind. Entsprechend schwer wiegen auch die derzeitigen Auswirkungen des großen Mangels: Ohne Chips stottert die Wirtschaft, drohen Milliardenverluste und entzünden sich globale Handelskriege. Ein Grund, warum Industrie und Politik unter Hochdruck an einer besseren Versorgung mit den winzigen Hightech-Plättchen arbeiten. Doch die Lage ist vertrackt, da die Halbleiterindustrie unter einem nur schwer zu lösenden Strukturproblem leidet: ihren extrem fragilen Wertschöpfungsketten. Grund dafür ist die technische Komplexität der Mikrochips, die zu einer sehr hohen Spezialisierung und globalen Vernetzung von Produktionsstandorten geführt hat.
Konflikte statt Kooperation

Laut einer Studie der Unternehmensberatung McKinsey liegen die wichtigsten Halbleiterstandorte quer über den Globus verteilt, in den USA genauso wie in der EU und natürlich in Asien – genauer in Taiwan, Südkorea, Japan und China. Die EU beheimatet neben dem weltweit führenden Halbleiter-Maschinenbauer ASML noch einige Werke für Autochips und Halbleiter-Chemikalien. In den USA, dem Ursprungsland der Chip-Technologie, ist ein Großteil der Forschung und Entwicklung sowie der Industrie für Chip-Maschinen und deren Ausrüstung (Equipment) ansässig. Die eigentliche Chip-Produktion findet dagegen hauptsächlich in Taiwan statt, wobei der größte Lieferant von Wafer-Plättchen wiederum aus Japan kommt. Bei der Produktion der begehrten KI-Chips ist Südkorea führend. China dagegen ist bisher nur an technisch weniger komplizierten Aufgaben beteiligt, holt allerdings mit riesigen staatlichen Investitionsprogrammen auf. Und auch andernorts werden die Kapazitäten mithilfe staatlicher Subventionen hochgefahren.
Doch staatliche Gelder helfen der Branche nur wenig, wenn sie gleichzeitig durch empfindliche Sanktionen konterkariert werden. Hauptverantwortlich hierfür sind vor allem China und die USA, die sich gegenseitig mit einem ausgeklügelten System von Handelsschranken und Importzöllen belegen. China erhebt dabei immer wieder territoriale Ansprüche gegenüber Taiwan, droht der Halbleiter-Hochburg sogar mit militärischer Intervention. Die USA dagegen unterstützen die Unabhängigkeit Taiwans, was im November zu einem angespannten Gipfeltreffen und reichlich Säbelrasseln geführt hat. Ein veritabler Handelskrieg, der für Europa zunehmend zum Problem wird, da man einerseits enge transatlantische Beziehungen pflegt, andererseits aber auch auf Chinas Absatzmärkte und Taiwans Chip-Lieferungen angewiesen ist. So wie letztlich alle Industrienationen, weshalb vom Ausgang der Taiwan-Frage ein nicht unwesentlicher Teil der Weltwirtschaft abhängt.

Doch damit nicht genug: Parallel zum Handelskrieg der beiden größten Volkswirtschaften der Welt schwelt auch zwischen Südkorea und Japan ein jahrzehntealter Konflikt, der auf die japanische Besetzung Südkoreas zwischen 1910 und 1945 zurückgeht. Auch hier kommt es immer wieder zu Handelsschranken, die vor allem die Produktion der begehrten KI-Chips gefährden.
EU will digitale Souveränität
Die geopolitische Großwetterlage der Halbleiterindustrie ist also vertrackt. Eine einfache Lösung ist derzeit nicht in Sicht. Für die verschiedenen Regionen geht es deshalb verstärkt darum, eigene Wertschöpfungsketten aufzubauen – die sogenannte „End-to-End-Lösung“. Für die Politik könnte sie die gewünschte Unabhängigkeit bringen, für Verbraucher*innen eine schnellere Versorgung mit der begehrten Halbleiter-Technologie.

Nur logisch, dass auch die EU am Aufbau einer solchen Lösung arbeitet. So machte EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen in ihrer Rede zur Lage der Union kürzlich klar, dass man die strategische Abhängigkeit von Lieferungen aus Asien langfristig beenden will. Neben einem eigenen Chip-Gesetz sollen dafür künftig rund 150 Milliarden Euro aus dem EU Next Generation Fund in digitale Technologieförderungen fließen.
Gleichzeitig arbeitet Industriekommissar Thierry Breton daran, private Investor*innen an Land zu ziehen. Und tatsächlich ist angesichts der anhaltenden Chip-Knappheit bereits einiges in der europäischen Industrie passiert. Im Juni eröffnete Bosch im Dresdner „Silicon Saxony“ eine eigene Chip-Fabrik – mit einem Volumen von einer Milliarde Euro die größte Investition der Unternehmensgeschichte. Im österreichischen Villach ist im September nach drei Jahren Bauzeit ein Produktionsstandort von Infineon gestartet, der spezielle Halbleiter für Elektroautos, Züge und Windkraftanlagen herstellt. Und der führende Prozessor-Hersteller Intel will bis Ende des Jahrzehnts sogar acht Chip-Werke in Europa bauen, fordert für das Investment von rund 80 Milliarden Euro allerdings saftige Subventionen in Höhe von 30 Prozent.

Der Ausgang der Verhandlungen zwischen Intel und der EU ist noch offen, doch zeigt sich klar: Langsam, aber sicher erwacht Europa aus seinem Halbleiter-Schlaf und trommelt zur Chip-Offensive. Und die könnte mit Blick auf das kommende Jahrzehnt gerade noch rechtzeitig kommen, um der Industrie beim Hochlauf des taktilen Internets eine bessere Versorgung zu gewährleisten, als es derzeit der Fall ist. Für die wirtschaftliche Entwicklung des Kontinents wäre das eine gute Nachricht, denn mehr noch als heute werden Halbleiter dann über das Wohl und Wehe der Wirtschaft entscheiden.