Die erste Hürde wartet meist schon am Eingang. Drei Treppenstufen, die zur Filiale führen, eine große Tür, die sich nicht automatisch öffnen lässt oder ein Foyer, in dem es keine Handläufe gibt. All das stellt Menschen mit Behinderung vor erhebliche Probleme. Und diese hören hinter der Eingangstür nicht auf, sondern ziehen sich über Geldautomaten, Schalter oder Beratungsräume bis in die digitalen Angebote und Services der Banken. Kurzum: Bankgeschäfte halten für beeinträchtigte Menschen einige Barrieren bereit. Von Barrierefreiheit sehen Behindertenverbände die Branche noch weit entfernt.

Wie groß dieses Problem tatsächlich ist, zeigt ein Blick auf die Zahlen. Laut Statistischem Bundesamt leben in Deutschland 7,8 Millionen Menschen mit Schwerbehinderung. Das bedeutet, fast jede*r Zehnte hierzulande hat mit schweren Beeinträchtigungen zu kämpfen. Bei den über 64-Jährigen ist es sogar beinahe jede*r Vierte. Weit mehr als die Hälfte von ihnen ist körperlich eingeschränkt, aber auch Sinnesbehinderungen wie Blindheit oder Taubheit spielen eine Rolle. Probleme wie diese dürften sich durch den demografischen Wandel künftig verschärfen. So soll sich die Zahl der Menschen, die älter als 67 sind, in Deutschland bis 2039 im Vergleich zu 1990 von 10,4 auf mindestens 21 Millionen mehr als verdoppeln. Und je mehr ältere, desto mehr beeinträchtigte Menschen wird es geben.
Barrierefreiheit wird zur Pflicht
Die Politik hat dieses Problem bereits erkannt und im Sommer vergangenen Jahres das sogenannte „Barrierefreiheitsstärkungsgesetz“ verabschiedet. Dadurch werden Unternehmen und Organisationen künftig dazu verpflichtet, Verbraucher*innen ihre Produkte und Dienstleistungen in einer barrierefreien Form anzubieten. Was das konkret an technischen Vorgaben mit sich bringt, daran wird seitens des Gesetzgebers aktuell noch gearbeitet. Papier ist bekanntermaßen geduldig: In Kraft treten wird das neue Gesetz erst im Jahr 2025. Das sollte Banken jedoch keineswegs davon abhalten, die Weichen schon jetzt zu stellen, findet Markus Ertl. Der Banker ist selbst blind, engagiert sich schon lange in der Interessenvertretung Selbstbestimmtes Leben (ISL) und kämpft seit Jahren für mehr Barrierefreiheit in Banken. „Man muss allerdings unterscheiden zwischen ‚nutzbar‘ und ‚barrierefrei‘“, sagt er. „Wenn man eine Überweisung hinbekommt, heißt das nicht, dass die Dienstleistung barrierefrei ist.“

Inklusion auf ganzer Linie lautet daher das Motto – vom Eingang in die Filiale bis zum Banking in der App. Die gute Nachricht: „Viele Banken haben das Thema auf dem Schirm“, schreibt Sylvie Ernoult vom Deutschen Bankenverband: „Barrierefreiheit ist längst kein Nischenthema mehr, sondern vielmehr in der Mitte der Gesellschaft angekommen.“ Entsprechend setzen Banken bereits heute eine Vielzahl von Produkten und Services ein, um ihre Kund*innen zu unterstützen. Zum Beispiel am Automaten. So bieten viele Geräte an den sogenannten Selbstbedienungsterminals in den Filialen schon aktuell einige Lösungen für Menschen mit Sinnesbehinderungen. Zusätzlich zur Bildschirmansicht halten sie Hilfen zum Ertasten oder Orientieren durch Bedienmöglichkeiten bereit und verfügen über Sprachsteuerung.
Vier Prinzipien für barrierefreie Online-Dienste
Zudem sind moderne Automaten häufig so gestaltet, dass auch körperlich eingeschränkte Menschen sie leichter bedienen können. Das gilt sowohl für die Zugänglichkeit der Automaten als auch etwa für die Höhe und die Position, in der die Bedienelemente angebracht sind. Zehn bis 15 Prozent der Geräte sind bereits umgerüstet, schätzt Ertl. Statistisch erfasst ist das jedoch nicht. Noch dazu kritisiert der Experte, dass die Frist für die Umrüstung dieser Automaten bis 2040 laufe. „Ein Geldautomat hat eine durchschnittliche Lebensdauer von siebeneinhalb Jahren“, so Ertl. „Das heißt, erst in der übernächsten Generation müssen alle Geräte in Deutschland barrierefrei sein.“ Noch dazu gibt es keine gesetzlichen Regeln, was die bauliche Barrierefreiheit von Filialen angeht. Hier sind Banken auf sich allein gestellt.
Banken müssen ihre Online-Dienstleistungen in den Jahren von 2025 bis 2029 komplett barrierefrei machen.
Markus Ertl
Bei den digitalen Services sieht das anders aus. Auch wenn man bei Barrierefreiheit nicht unbedingt als erstes an diese Dienste denkt: „Banken müssen ihre Online-Dienstleistungen in den Jahren von 2025 bis 2029 komplett barrierefrei machen“, sagt Ertl. Inklusion – analog und digital. Doch anders als in der physischen Welt gibt es für die Services und Dienstleistungen in der virtuellen bereits Richtlinien zur Orientierung: die sogenannten Web Content Accessibility Guidelines (WCAG). Sie stützen sich auf vier Prinzipien: Wahrnehmbarkeit, Bedienbarkeit, Verständlichkeit und Robustheit. Wahrnehmbarkeit bezieht sich etwa auf kontrastreiche Darstellung für Sehbehinderte oder Texte als Alternative zu grafischen Elementen, die Blinde sich von einer Bildschirmlese-Software, sogenannten Screenreadern, vorlesen lassen können. Bedienbarkeit zielt auf einfache und intuitive Anwendung ab, die jede*r auf Anhieb versteht. Verständlichkeit sorgt dafür, dass Angaben und Informationen in eingängiger Sprache sowie Formulare eindeutig aufbereitet werden. Und bei Robustheit geht es darum, wie kompatibel eine Anwendung mit Tools wie Screenreader, alternativen Tastaturen oder anderen Assistenzsystemen ist.
Eine User Experience ohne Hindernisse
Alle vier Prinzipien sind darauf ausgerichtet, auch beeinträchtigten Menschen eine attraktive User Experience zu ermöglichen. Ein Thema, womit sich auch Roman Reindler befasst. Er ist Spezialist für Barrierefreiheit und UX bei der Atruvia AG und hat einen besonderen Blick auf die User Experience in den digitalen Anwendungen der Bankkund*innen. „Barrierefreiheit wird für eingeschränkte Kundinnen und Kunden sehr wichtig, weil sie die Nutzung komplett anders erleben“, sagt Reindler, der selbst neben einer Seh- auch von einer Rot-Grün-Schwäche betroffen ist. Das heißt, er kann die Farben Rot und Grün nicht voneinander unterscheiden. Mit Blick auf rote Zahlen in der Bankbilanz mag das ganz charmant sein, im Alltag jedoch stellt diese Schwäche Menschen vor Probleme. Deshalb arbeiten Reindler und seine Kolleg*innen an digitalen Lösungen. „Es ist wichtig, dass man die Oberfläche einer Anwendung entsprechend gestaltet, dass sie nicht nur durch Farben, sondern auch durch Formen unterstützt wird“, erklärt er. Dann könne auch jemand mit Seh- oder Farbenschwäche die Unterschiede erkennen.

Lösungen wie die der Atruvia AG zeigen, dass sich die Finanzwirtschaft Gedanken macht über Banking ohne Barrieren. Vom „Barrierefreiheitsstärkungsgesetz“ erhofft sich die Branche künftig klare und einheitliche Standards. Damit sei nicht nur Betroffenen geholfen, sondern auch den Unternehmen, schreibt der Deutsche Bankenverband: „Barrierefreiheit trägt dazu bei, Barrieren in der Kommunikation mit den Kund*innen abzubauen.“ Inklusion bedeutet schließlich, dass Menschen mit Behinderung ihr Leben nicht an vorhandene Strukturen anpassen müssen – sondern sich die Strukturen verändern.