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Banken

Alles in die Cloud: Aktien, Daten, Testosteron

Technologien wie Machine Learning und Blockchain revolutionieren das Geschäftsmodell der Börsen. Teil 4 der Serie.
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02.06.2020

Der Parketthandel an der Deutschen Börse ist Geschichte. Wie verändert die Digitalisierung das Geschäft? Wo liegen die Risiken? Der vierte Teil der Serie gibt Antworten.

Wild gestikulierende Börsenmakler, es riecht nach Testosteron und kaltem Schweiß: So stellen sich viele heute noch den Handel an der Börse vor. Doch in den Sälen ist längst Ruhe eingekehrt, der klassische Parketthandel wurde fast überall in der Welt schon vor geraumer Zeit eingestellt.

An der Frankfurter Börse wird seit 2011 der Großteil der Aktien und Anleihen über das Computersystem Xetra gehandelt – der Präsenzhandel auf Zuruf ist damit Geschichte. Statt der klassischen Börsenmakler besetzen heute sogenannte Spezialisten die Plätze auf dem Parkett. Sie halten den direkten Draht zu Investoren und garantieren den reibungslosen Handel, indem sie sich um Nebenwerte kümmern, für die es nur wenig Angebot und Nachfrage gibt.

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Der Frankfurter Handelssaal taugt nur noch als Kulisse für Börsensendungen und Einspieler im „Heute Journal“ oder den „Tagesthemen“. An der Deutschen Börse, zu der auch die Frankfurter Wertpapierbörse gehört, regieren längst die Maschinen, es läuft eine stille Revolution. Denn mit Xetra ist die Digitalisierung dort erst richtig ins Rollen gekommen: Cloud, Machine Learning und Blockchain heißen die Technologien der Zukunft, die die Börse verändern.

Mit der Wolke in die Zukunft

An der Börse müssen in Millisekunden riesige Datenmengen ausgewertet und in Anlageentscheidungen überführt werden. So können Trader noch schneller und fundierter handeln: Was kaufen und verkaufen sie wann? Mit Computern laufen Prozesse schneller, reibungsloser und in vielen Fällen auch vollautomatisch. Algorithmen treffen zuverlässigere Entscheidungen als Menschen.

Die Börse der Zukunft digitalisiert das Geschäft noch weiter: So sieht die Deutsche Börse in der Cloud eine wichtige strategische Säule. „Die Cloud-Technologie wird zu einer Art Herzkammer der Innovation. Und davon wollen wir profitieren“, sagt Deutsche-Börse-Chef Christoph Böhm. Mit der Cloud will die Börse interne Prozesse digitalisieren und zugleich die Basis für weitere Kerntechnologien wie die Blockchain schaffen.

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Im Finanzsektor kommt die Cloud bisher allerdings nur langsam voran. „Wenn Sie auf ein cloudfähiges System kommen wollen, also mit verteilter Rechenleistung und verteilter Datenspeicherung, gibt es einen hohen Änderungsaufwand. Bei einer neuen Anwendung ist dies bereits Bestandteil des Designs, bei einer alten bedeutet dies Anpassungsbedarf. Der Vorteil besteht darin, künftig Hardware und Software aus einem Ökosystem zu beziehen. Die Umstellung auf die Cloud ist auch für uns ein interner Lernprozess gewesen“, sagte Böhm der Börsen-Zeitung.

Cloud als Katalysator

Welches Unternehmen hat welche Umsätze gemacht? Wer hat 5.000 Mitarbeiter entlassen? Und wie hoch ist eigentlich die Nachfrage für Zucker am Weltmarkt? Die Basis für Anlageentscheidungen von Portfoliomanagern oder Investmentbankern sind fast immer Daten, die die Kunden der Deutschen Börse auswerten, um anschließend zu investieren.

„Hier sehen wir eine starke Nachfrage, neben Daten auch Auswertungsangebote, wie Vorhersage- und Risikobewertungsmodelle, zur Verfügung zu stellen. Da es sich um einen gigantischen Datenbestand handelt, werden wir dazu modernste Technologien wie etwa maschinelles Lernen einsetzen. Die Cloud dient grundsätzlich als Katalysator für die Weiterentwicklung von neuen Technologien. Darauf haben wir einen starken Fokus“, erläutert Böhm im Handelsblatt.

Im Gegensatz zu vielen anderen europäischen Unternehmen hat die Deutsche Börse keine Berührungsängste mit amerikanischen Tech-Riesen wie Google und Microsoft – im Gegenteil: Mit beiden hat sie im Rahmen ihrer Multi-Cloud-Strategie Partnerschaften geschlossen. Etwa drei Viertel der deutschen Unternehmen nutzen wie die Deutsche Börse Cloud-Computing, etwa um Serverkapazitäten auszulagern. In die sogenannte Public Cloud, bei der alle Dienste bei einem externen Anbieter liegen, traut sich allerdings nur ein Drittel.

Die Datensicherheit im Blick

„Microsoft ist führend, wenn es darum geht, Werkzeuge zur Zusammenarbeit wie zum Beispiel E-Mail-oder Office-Anwendungen in der Cloud zu integrieren“, sagte Böhm dem Handelsblatt. Google könne dagegen Technologien entwickeln, die unabhängig von einer Plattform funktionieren – und die das maschinelle Lernen zur Analyse von großen Datenmengen vorantreiben. Und darauf setzt die Deutsche Börse in Zukunft auch bei internen Prozessen: So sollen Maschinen künftig selbständig standardisierte Anfragen von Kunden zu Kapitalmarktmaßnahmen per E-Mail, Telefon oder Brief ordnen und Empfehlungen geben, wie ein Mitarbeiter der Börse darauf reagieren kann.

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Daten in der Cloud, ist das nicht riskant? Die Finanzbranche ist eine der am stärksten regulierten überhaupt – die Kontrolle von Daten und Anwendungen ist von Anfang bis Ende strikt. Die deutsche Finanzaufsicht BaFin sieht die Einführung der Cloud dennoch grundsätzlich positiv. So können rein administrative Vorgänge der Börse wie Gehaltsabrechnungen der Mitarbeiter einfach ausgelagert werden. Erst wenn Bankgeschäfte oder andere Finanzdienstleistungen betroffen sind, greifen die strengen Regularien der Aufseher.

Um sicherzugehen, dass Fremde nicht auf die Daten zugreifen, sind diese in der Cloud doppelt verschlüsselt – von der Deutschen Börse und von Google. Von der Kooperation erhofft sich die Börse außerdem neue Angebote für die Finanzindustrie bei Datenschutz und Datensicherheit. Die wollen beide Partner gemeinsam weiterentwickeln. Auf die Daten der Deutschen Börse, beteuert Google, habe man keinen Zugriff. Zusätzlich hat der Frankfurter Börsenbetreiber eine Cloud Audit Group ins Leben gerufen, an der 28 europäische Finanzunternehmen beteiligt sind. Gemeinsam wollen die Partner dann Drittanbieter kontrollieren – zum Beispiel Microsoft.

Der Handel der Zukunft

Die Börse der Zukunft könnte also bald komplett ohne Handelssaal auskommen, der ja ohnehin schon einen Abschied auf Raten hinter sich hat. Denn mithilfe der Blockchain können Anleger ohne Bank oder Börse Wertpapiere kaufen oder verkaufen. „Mit Blockchain wird es möglich, auch Werte wie Euro oder Aktien per E-Mail zu transferieren“, sagt Professor Philipp Sandner von der Frankfurt School of Finance & Management. „Blockchain ist zwar relativ neu, hat aber Potenzial, die Börse komplett zu disruptieren.“ Komplett ersetzen werde die Technologie die Börse allerdings nie, denn auch in Zukunft brauche man jemanden, der darauf achte, dass die Regeln eingehalten werden. „Und das ist nun mal die Börse“, sagt Sandner.

An der Börse könnte Blockchain dennoch eine Revolution auslösen: „Die Technologie könnte die Monopolstellungen der Leitbörsen aufbrechen, auch das Monopol als zentraler Aktienverwahrer könnte Geschichte sein. Das wird spannend“, sagt Sandner. Langfristig werde sich der Finanzsektor durch die Einführung von Blockchain womöglich komplett verändern und mit viel weniger Personal auskommen. So könnte im gesamten Finanzsektor mittelfristig jede zweite Stelle wegfallen, meint der Blockchain-Experte.

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Bislang gehen die Leitbörsen in New York, London und Frankfurt die Technologie allerdings eher zögerlich an. „Sie alle experimentieren hier und da an einzelnen Projekten“, sagt Sandner. Bei der Deutschen Börse hat das Thema im vergangenen Jahr richtig Fahrt aufgenommen: Seither arbeitet sie an einer Infrastruktur, über die digitale Vermögenswerte mit Blockchain gehandelt werden können. Wertpapiere, Vermögen und digitale Assets werden damit zum Token, der digital den Besitzer wechselt. Gemeinsam mit der Bundesbank hatte das Unternehmen zuvor einen Prototyp entwickelt, der die Abwicklung von Wertpapiertransaktionen, Zahlungen, Zinszahlungen und Rückzahlungen bei Fälligkeit einer Anleihe unterstützt. In diesem Modell tritt die Börse dann nicht mehr als Handelsplatz in Erscheinung, sondern als Instanz, die Token emittiert, überwacht und aufbewahrt.

In Zukunft könnten die Börse so deutlich mehr Anlageformen anbieten und damit auch mehr Einnahmen generieren. Denn die Technologie ermöglicht auch Investments in Sachwerte wie zum Beispiel Kunst. Zudem könnten Anlageformen wie Immobilienfonds dann passgenau auf die Bedürfnisse eines Einzelnen zugeschnitten werden – und zum Beispiel nur in Objekte in Hamburg investiert werden. Anleger sollten jedoch nicht darauf hoffen, dass Transaktionen durch Blockchain günstiger werden. „Ein Depot kostet auch heute schon sehr wenig, da ist nicht mehr viel Spielraum nach unten“, meint Professor Sandner.

Heute ist die Blockchain an der Börse noch nicht einsatzbereit, doch das könnte sich schon sehr bald ändern: „Die Technologie ist langsam aber sicher in einem Stadium, in dem man sie anwenden kann“, sagt Sandner. Die Revolution an der Börse, sie kann also beginnen.

02.06.2020